Rotkehlchen
war eine Nummer zu groß für seine schmalen, abfallenden Schultern. Sie musste an den Christopher denken, den sie als Kind gekannt hatte. Er hatte schöne schwarze Locken gehabt und stets einen ordentlichen Anzug getragen, obgleich er erst zwölf Jahre alt war. Einen Sommer lang war sie sogar in ihn verliebt gewesen – oder stimmte das etwa nicht?
Er atmete aus, lang und zitternd. Sie ging einen Schritt auf ihn zu, entschied sich dann aber wieder anders. Warum sollte sie Mitleid mit diesem Mann haben? Doch, sie wusste, warum. Weil ihr eigenes Herz vor Glück überfloss, ohne dass sie selbst viel dafür getan hatte. Während Christopher Brockhard, der jeden Tag seines Lebens versuchte, das Glück zu bezwingen, für immer ein einsamer Mann sein würde.
»Christopher, ich muss jetzt gehen.«
»Ja. Natürlich. Tu, was du tun musst, Helena.«
Sie drehte sich um und ging zur Tür.
»Und ich tue, was ich tun muss«, sagte er.
Polizeipräsidium, 24. Februar 2000
30 Wright fluchte. Er hatte alle Knöpfe ausprobiert, um das Bild des Tageslichtprojektors scharf zu stellen, doch vergebens.
Eine Stimme räusperte sich:
»Kann es nicht sein, dass das Bild unscharf ist, Wright, dass es also gar nicht am Projektor liegt?«
»Nun, das ist auf jeden Fall Andreas Hochner«, sagte Wright und schirmte das Licht mit der Hand ab, um die Anwesenden sehen zu können. Der Raum hatte keine Fenster, und so war es stockdunkel, wenn das Licht ausgeschaltet wurde. Nach allem, was Wright gehört hatte, sollte dieses Zimmer auch abhörsicher sein – was immer das bedeutete.
Außer ihm selbst, Andreas Wright, Leutnant des militärischen Überwachungsdienstes, waren nur noch drei weitere Personen im Raum: Major B å rd Ovesen vom militärischen Überwachungsdienst, Harry Hole, der Neue vom PÜD, und der PÜD-Chef selbst, Kurt Meirik. Hole war es gewesen, der ihm den Namen des Waffenschiebers in Johannesburg gefaxt hatte. Und ihn seither Tag für Tag nach weiteren Informationen gefragt hatte. Tatsächlich gab es einige im PÜD, die der Ansicht waren, der militärische Überwachungsdienst sei eine Art Hilfsbehörde für das PÜD, doch die kannten sicher das Behördenprofil nicht, aus dem klar hervorging, dass es sich um gleichwertige Organisationen handelte, die zusammenarbeiten sollten. Wright wusste darüber Bescheid. Und so hatte er dem Neuen erklärt, dass Sachen, die keine Priorität hatten, warten mussten. Eine halbe Stunde später hatte sich Meirik persönlich bei ihm gemeldet und ihn davon unterrichtet, dass dieser Vorgang eben doch bevorzugt zu behandeln sei. Warum hatten sie das nicht gleich sagen können?
Das unscharfe Schwarzweißbild auf der Leinwand zeigte einen Mann, der gerade ein Restaurant verließ. Es sah aus, als wäre es durch ein Autofenster aufgenommen worden. Der Mann hatte ein großflächiges, grobes Gesicht mit dunklen Augen und eine große, breite Nase, unter der ein schwarzer Bart herabhing.
»Andreas Hochner, geboren 1954 in Simbabwe, Sohn deutscher Eltern«, las Wright auf dem Ausdruck, den er mitgenommen hatte. »Früher Söldner im Kongo und in Südafrika; er ist vermutlich seit Mitte der achtziger Jahre als Waffenschieber aktiv. Mit neunzehn war er gemeinsam mit sechs anderen angeklagt, einen schwarzen Jungen in Kinshasa ermordet zu haben, doch er wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Zweimal verheiratet und zweimal geschieden.
Sein Arbeitgeber in Johannesburg steht unter dem Verdacht, Luftabwehrraketen nach Syrien geliefert und chemische Waffen aus dem Irak gekauft zu haben. Es wird behauptet, er hätte während des Bosnienkrieges Spezialgewehre an Karadzic geliefert und Heckenschützen bei der Belagerung von Sarajewo ausgebildet, doch diese Behauptungen konnten bis jetzt nicht bestätigt werden.«
»Lass die Details doch bitte weg«, sagte Meirik und sah auf die Uhr. Sie ging immer nach, hatte aber eine nette Eingravierung vom Oberkommando des Militärs auf der Rückseite.
»Schön«, sagte Wright und blätterte interessiert weiter. »Andreas Hochner ist eine von vier Personen, die im Dezember während einer Razzia bei einem Waffenhändler in Johannesburg festgenommen worden sind In diesem Zusammenhang wurde eine kodierte Bestellliste beschlagnahmt, auf der eine Bestellung nach Oslo ging. Ein Gewehr der Marke Märklin. Und ein Datum, der 21. Dezember. Das ist alles.«
Es wurde still, nur das Rauschen des Ventilators im Projektor war zu hören. Jemand räusperte sich im Dunkeln, es
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