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Rotkehlchen

Rotkehlchen

Titel: Rotkehlchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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führte das letzte Stück Kartoffel zum Mund.
    Urias nickte und wartete geduldig auf die nächste unvermeidliche Frage, während Frau Lang kaute.
    »Und was für eine Arbeit wird das sein, wenn ich fragen darf?« »Postbote. Vor dem Krieg hat man mir jedenfalls eine solche Stellung versprochen.«
    »Post austragen? Wohnen die Menschen in Ihrem Land nicht schrecklich weit auseinander?«
    »So schlimm ist das auch nicht. Wir lassen uns dort nieder, wo es möglich ist. An den Fjorden, in den Tälern und an anderen Orten, wo man Schutz vor Wind und Wetter findet. Und bei uns gibt es ja auch Städte und größere Orte.«
    »Was Sie nicht sagen. Interessant. Darf ich fragen, ob Sie vermögend sind?«
    »Mutter!« Helena starrte ihre Mutter ungläubig an.
    »Ja, meine Liebe?« Die Mutter wischte sich den Mund mit der Serviette ab und gab Beatrice ein Zeichen abzuräumen.
    »Das hört sich ja wie ein Verhör an.« Helenas dunkle Augenbrauen bildeten ein »V« auf ihrer weißen Stirn.
    »Ja«, sagte die Mutter, lächelte Urias strahlend an und hob ihr Glas. »Das ist ein Verhör.«
    »Ich verstehe Sie, Frau Lang. Helena ist Ihre einzige Tochter. Es ist Ihr gutes Recht, ja ich möchte sogar sagen, Ihre Pflicht, sich ein Bild von dem Mann zu machen, den sie sich ausgesucht hat.«
    Frau Langs schmale Lippen waren bereits geschürzt, um einen Schluck zu trinken, doch das Weinglas verharrte vor ihr in der Luft.
    »Ich bin nicht vermögend«, fuhr Urias fort. »Aber ich bin arbeitswillig, weiß meinen Kopf zu gebrauchen und werde es bestimmt schaffen, sowohl mich als auch Helena und vielleicht auch noch weitere Personen zu versorgen … Ich verspreche Ihnen, mich so gut es nur geht um sie zu kümmern, Frau Lang.«
    Helena hätte zu gerne gekichert, doch gleichzeitig war sie auch merkwürdig aufgeregt.
    »Mein Gott!«, platzte die Mutter heraus und stellte ihr Glas wieder auf den Tisch. »Sie gehen aber wirklich rasch zur Sache, junger Mann.«
    »Ja.« Urias nahm einen Schluck und betrachtete sein Glas lange. »Ich muss sagen, das ist wirklich ein ausgezeichneter Wein, Frau Lang.«
    Helena versuchte, ihm unter dem Tisch einen Tritt zu geben, doch der Eichentisch war zu breit.
    »Aber das ist eine besondere Zeit. Und sie ist kurz.« Er stellte das Glas ab, doch sein Blick ruhte noch immer darauf. Die Andeutung eines Lächelns, das Helena erkannt zu haben glaubte, war verschwunden.
    »Es hat Abende gegeben wie heute, Frau Lang, an denen ich mit meinen Kameraden zusammengesessen und geredet habe. über all das, was wir in der Zukunft tun wollten, wie das neue Norwegen aussehen sollte, und über all die Träume, große und kleine, die wir zu verwirklichen gedachten. Und ein paar Stunden später lagen sie tot auf dem Schlachtfeld.«
    Er hob seine Augen und sah Frau Lang direkt an.
    »Ich gehe rasch vor, weil ich eine Frau gefunden habe, die ich willund die auch mich will. Der Krieg tobt, und alles, was ich Ihnen über meine Zukunftspläne erzählen könnte, ist Augenwischerei. Mir bleibt eine Stunde, um ein Leben zu leben, Frau Lang. Und auch Ihnen bleibt vielleicht nicht mehr.«
    Helena warf rasch einen Blick auf ihre Mutter. Sie saß wie versteinert da.
    »Ich habe heute einen Brief vom norwegischen Polizeidepartement erhalten. Ich soll mich im Kriegslazarett in der Sinsen-Schule in Oslo zur Untersuchung melden. Ich reise in drei Tagen ab. Und ich habe vor, Ihre Tochter mitzunehmen.«
    Helena hielt die Luft an. Das laute Ticken der Wanduhr dröhnte durch den Raum. Die Diamanten ihrer Mutter glitzerten unablässig, während die Muskeln unter der faltigen Haut an ihrem Hals zuckten. Ein plötzlicher Windhauch, der durch die Tür aus dem Garten hereinwehte, drückte die Flammen nieder. Schatten tanzten zwischen den dunklen Möbeln über die Tapete. Nur der Schatten von Beatrice an der Tür zur Küche schien vollkommen still zu stehen.
    »Apfelstrudel«, sagte die Mutter, wobei sie Beatrice einen Wink gab. »Eine Spezialität aus Wien.«
    »Ich möchte Ihnen nur noch einmal versichern, dass ich mich wirklich darauf freue«, sagte Urias.
    »Ja, das sollten Sie«, sagte die Mutter und lächelte sarkastisch … »Der ist mit Äpfeln aus unserem eigenen Garten gemacht.«
     
    Johannesburg, 28. Februar 2000
     
    32 Die Hillbrow Polizeistation lag im Zentrum von Johannesburg. Sie sah aus wie eine Festung mit Stacheldrahtrollen auf den Mauern und Stahlnetzen vor den Fenstern, die schmal wie Schießscharten waren.
    »Zwei Tote, Schwarze, letzte

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