Rotkehlchen
Nacht in unserem Zuständigkeitsbereich«, erzählte Esaias Burne, während er Harry durch ein Labyrinth von weißen Korridoren mit abblätterndem Putz und altem Linoleum führte. »Haben Sie das große Carlton-Hotel gesehen? Geschlossen. Die Weißen sind schon längst in die Vorstädte evakuiert worden, jetzt können wir uns nur noch selbst erschießen.«
Esaias zog seine Hose höher. Er war schwarz, groß, kräftig und übergewichtig. Sein weißes Nylonshirt hatte Schweißflecken unter den Armen.
»Andreas Hochner sitzt zur Zeit in einem Gefängnis außerhalb der Stadt, wir nennen es Sin City«, sagte er. »Wir haben ihn heute für diese Verhöre hierher geholt.«
»Interessieren sich noch andere für ihn?«, fragte Harry.
»Da wären wir«, verkündete Esaias und trat durch eine Tür. Sie kamen in einen Raum, in dem zwei Männer mit verschränkten Armen standen und durch ein braunes Fenster starrten.
»Verspiegelt«, flüsterte Esaias. »Er kann uns nicht sehen.«
Die zwei vor dem Fenster nickten Esaias und Harry zu und machten Platz.
Sie blickten in einen kleinen, schwach beleuchteten Raum, in dessen Mitte ein Stuhl und ein kleiner Tisch standen. Auf dem Tisch standen ein überfüllter Aschenbecher und ein Mikrofon in einer Halterung. Der Mann auf dem Stuhl hatte dunkle Augen und einen dicken schwarzen Schnauzbart, der an den Mundwinkeln herabhing. Trotz Wrights unscharfen Bildern erkannte Harry ihn sofort wieder.
»Der Norweger?«, murmelte einer der beiden Männer und machte eine Kopfbewegung in Harrys Richtung. Esaias Burne nickte.
»Okay«, sagte der Mann, an Harry gerichtet, doch ohne dabei den Gefangenen aus den Augen zu lassen. »Er gehört dir, Norweger. Du hast zwanzig Minuten.«
»Im Telefax stand …«
»Scheiß auf das Telefax, Norweger. Weißt du, wie viele Länder mit diesem Kerl reden wollen oder ihn ausgeliefert haben wollen?«
»Äh, nein.«
»Sei froh, dass du überhaupt mit ihm reden kannst«, sagte der Mann.
»Warum ist er bereit, mit mir zu sprechen?«
»Woher sollen denn wir das wissen? Frag ihn selbst.«
Harry versuchte, ruhig zu atmen, als er den kleinen, engen Raum betrat. An der gemauerten Wand, über die sich rote Roststreifen zogen, hing eine Uhr. Sie zeigte halb zwölf. Harry dachte an die Polizisten, die ihn mit Argusaugen beobachteten. Vielleicht war es das, was ihn derart feuchte Hände bekommen ließ. Die Gestalt auf dem Stuhl saß zusammengesunken mit halb geschlossenen Augen da.
»Andreas Hochner?«
»Andreas Hochner?«, wiederholte der Mann auf dem Stuhl flüsternd, hob seinen Kopf und sah aus, als hätte er gerade jemanden erblickt, den er am liebsten zertreten würde. »Nein, der ist zu Hause und fickt deine Mutter.«
Harry setzte sich vorsichtig hin. Er glaubte, das Gelächter hinter dem schwarzen Spiegel hören zu können.
»Ich bin Harry Hole von der norwegischen Polizei«, sagte er leise. »Sie waren bereit, mit uns zu sprechen.«
»Norwegen?«, sagte Hochner skeptisch. Er beugte sich vor und sah sich Harrys Ausweis genau an. Dann lächelte er etwas abwesend.
»Entschuldige, Hole, man hat mir nicht gesagt, dass es heute Norwegen sein würde, verstehst du. Ich habe auf euch gewartet.«
»Wo ist dein Anwalt?« Harry legte seine Mappe auf den Tisch, öffnete sie und nahm das Blatt mit den Fragen und den Notizblock heraus.
»Vergiss ihn, ich traue dem Kerl nicht. Ist das Mikrofon an?« »Ich weiß es nicht. Ist das wichtig?«
»Ich will nicht, dass uns diese Nigger zuhören. Ich bin bereit, einen Deal einzugehen. Mit dir. Mit Norwegen.«
Harry sah von seinem Blatt auf. Die Uhr über Hochners Kopf tickte. Drei Minuten waren vergangen. Irgendetwas sagte ihm, dass es alles andere als sicher war, ob ihm wirklich die vereinbarte Zeit zugestanden wurde.
»Was für einen Deal?«
»Ist das Mikrofon an?«, zischte Hochner durch die Zähne. »Was für einen Deal?«
Hochner verdrehte die Augen. Dann beugte er sich über den Tisch und flüsterte schnell:
»In Südafrika gilt die Todesstrafe für die Sachen, die man mir vorwirft. Verstehst du, auf was ich hinauswill?«
»Vielleicht, sprich weiter.«
»Ich kann dir ein paar Dinge über den Mann in Oslo sagen, wenn du mir garantierst, dass sich deine Regierung bei diesen Niggern hier für meine Begnadigung einsetzt. Weil ich euch geholfen habe, nicht wahr? Eure Ministerpräsidentin war doch hier, sie und Mandela haben sich in den Armen gelegen. Diese ANC-Bonzen, die jetzt das Land regieren, mögen Norwegen.
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