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Rotkehlchen

Rotkehlchen

Titel: Rotkehlchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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die dreißig zu sein; sie trug eines dieser lässigen schwarzen und doch so eleganten Capes, das Harry instinktiv als sündhaft teuer einstufte.
    »Ich wollte gerade gehen«, sagte die Frau. »Möchten Sie zu uns?«
    »Ich denke, ja. Sindre Fauke?«
    »Fast«, sagte sie. »Aber Sie kommen ein paar Monate zu spät. Mein Vater ist hinunter in die Stadt gezogen.«
    Harry war näher gekommen und sah, dass sie schön war. Und die Art, wie sie sprach und wie sie ihm so direkt in die Augen sah, deutete auf eine gewisse Selbstsicherheit hin. Eine berufstätige Frau, vermutete er. Mit einer Tätigkeit, die einen kühlen Kopf erforderte. Immobilienmaklerin, Abteilungsleiterin in einer Bank, Politikerin oder so etwas. Auf jeden Fall gut situiert, dessen war er sich ganz sicher. Es war nicht nur das Cape oder dieser Prachtbau von Haus hinter ihr,sondern etwas an ihrer Haltung und den hohen, aristokratischen Wangenknochen. Sie ging die Treppenstufen hinunter und stellte ein Bein vor das andere, als ginge sie über eine Linie. Es sah so leicht aus. Sie hat früher bestimmt Ballettstunden genommen, dachte Harry.
    »Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
    »Ich komme von der Polizei.« Er begann in seiner Jackentasche nach seinem Ausweis zu suchen, doch sie winkte lächelnd ab. »Ja, also, ich würde mich gerne mit Ihrem Vater unterhalten.« »Warum?«
    »Wir suchen nach einer Person. Und ich hoffe, dass Ihr Vater uns weiterhelfen kann.«
    »Nach wem suchen Sie?«
    »Das kann ich nicht sagen.«
    »Gut.« Sie nickte, als sei das ein Test gewesen, den Harry soeben bestanden hatte.
    »Aber wenn das heißt, dass er nicht mehr hier wohnt …«, sagte Harry und schaute auf ihre Hände. Sie waren schlank. Von den Klavierstunden, dachte Harry. Und sie hatte Lachfältchen an den Augen. Vielleicht war sie doch schon über dreißig?
    »Das tut er nicht mehr«, sagte sie. »Er ist nach Majorstua gezogen. Vibesgate 18. Sie finden ihn dort oder in der Universitätsbibliothek, denke ich.«
    Universitätsbibliothek Sie sprach dieses Wort so deutlich aus, dass nicht eine Silbe verloren ging.
    »Vibesgate 18. Okay, dann weiß ich Bescheid.«
    »Schön.«
    »Ja.«
    Harry nickte. Und nickte. Wie einer dieser Hunde, die manche Leute hinten auf der Hutablage in ihren Autos haben. Sie lächelte mit zusammengepressten Lippen und zog beide Augenbrauen hoch, wie um zu sagen, ja, das war’s dann wohl, und dass die Sitzung geschlossen sei, wenn nicht noch irgendjemand eine Frage hätte.
    »Dann weiß ich Bescheid«, wiederholte Harry.
    Ihre Augenbrauen waren schwarz und ebenmäßig. Sicher gezupft, dachte Harry, unauffällig gezupft.
    »Ich muss jetzt gehen«, sagte sie. »Meine Straßenbahn …« »Dann weiß ich Bescheid«, sagte Harry zum dritten Mal, ohne Anstalten zu machen, gehen zu wollen.
    »Ich hoffe, Sie finden ihn – meinen Vater, meine ich.«
    »Das werden wir wohl.«
    »Dann einen schönen Tag noch.« Der Kies knirschte unter ihren Sohlen, als sie losging.
    »Ich habe ein kleines Problem …«, sagte Harry.
     
    »Herzlichen Dank für Ihre Hilfe«, sagte Harry.
    »Nichts zu danken«, erwiderte sie. »Und Sie sind sicher, dass das nicht ein zu großer Umweg ist?«
    »Ganz und gar nicht, ich muss, wie gesagt, in die gleiche Richtung«, versicherte Harry und schielte besorgt auf die dünnen und zweifelsohne teuren Lederhandschuhe, die grau vor Schmutz vom Hinterteil des Escorts waren.
    »Die Frage ist bloß, ob dieses Auto noch so lange hält«, fügte er hinzu.
    »Es scheint einiges durchgemacht zu haben, ja«, lachte sie und zeigte auf ein Loch im Armaturenbrett, wo ein Knäuel aus roten und gelben Leitungen die Stelle markierte, wo das Radio hätte sein sollen.
    »Ein Einbruch«, erklärte Harry. »Deshalb lässt sich die Tür auch nicht mehr abschließen, die haben auch das Schloss kaputtgemacht.«
    »Dann haben jetzt alle freien Zutritt?«
    »Ja, so ist das wohl, wenn man alt genug ist.«
    Sie lachte. »Wirklich?«
    Er musterte sie noch einmal kurz. Vielleicht gehörte sie zu denen, deren Äußeres sich mit dem Alter nicht wesentlich veränderte, die von zwanzig bis fünfzig wie dreißig aussahen. Er mochte ihr Profil, die klaren Linien. Ihre Haut hatte einen warmen, natürlichen Ton und nicht diese trockene, matte Sonnenbräune, die sich die Frauen ihres Alters im Februar so gerne kauften. Sie hatte das Cape aufgeknöpft, so dass er ihren langen, schlanken Hals erkennen konnte. Wieder blickte er auf ihre Hände, die ruhig in ihrem Schoß

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