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Rotkehlchen

Rotkehlchen

Titel: Rotkehlchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Harry einen Platz auf dem Sofa frei.
    Harry sah sich um. Keine Bilder an den Wänden, nur ein Kalender von RIMI mit Bildern aus der Nordmarka.
    »Ich arbeite an einem größeren Projekt, das hoffentlich mal ein Buch wird. Eine Kriegsgeschichte.«
    »Gibt es so ein Buch nicht bereits?«
    Fauke lachte schallend. »Ja, das können Sie wohl sagen. Nur darin stimmt nicht alles. Und dies hier handelt von meinem Krieg.«
    »Aha. Warum tun Sie das?«
    Fauke zuckte mit den Schultern.
    »Auch wenn es prätentiös klingt – es liegt in der Verantwortung von uns, die wir beteiligt waren, unsere Erfahrungen an die kommenden Generationen weiterzugeben, ehe wir das Zeitliche segnen. So sehe ich das zumindest.«
    Fauke verschwand in der Küche und rief von dort aus ins Wohnzimmer:
    »Even Juul hat mich angerufen und mir angekündigt, dass ich Besuch bekommen würde. Polizeilicher Überwachungsdienst, nicht wahr?«
    »Ja, aber Juul sagte mir, Sie würden am Holmenkollen wohnen.«
    »Even und ich haben nicht so viel Kontakt, und ich habe meine Telefonnummer behalten, weil dieser Umzug nur vorübergehend ist. Bis ich mit diesem Buch fertig bin.«
    »Nun, ich habe ja hergefunden. Ich habe Ihre Tochter getroffen, Sie hat mir diese Adresse gegeben.«
    »Dann war sie also zu Hause? Ja, sie wird den Job wohl bald aufgeben.«
    Welchen Job, wollte Harry fragen, doch dann dachte er daran, dass das wohl auffällig klingen würde.
    Fauke kam mit einer großen dampfenden Kaffeekanne und zwei Tassen zurück.
    »Schwarz?« Er stellte eine Tasse vor Harry auf den Tisch. »Ja, gerne.«
    »Gut, denn Sie haben keine Wahl.« Fauke lachte, so dass er beim Einschütten beinahe den Kaffee verschüttet hätte.
    Harry fand es erstaunlich, wie wenig ihn Fauke an dessen Tochter erinnerte. Er hatte weder ihre kultivierte Art zu sprechen oder sich zu benehmen noch ihre Züge oder den dunklen Teint. Nur die Stirn war die Gleiche. Hoch, mit einer blauen dicken Ader, die quer darüber verlief.
    »Sie haben ein großes Haus dort oben«, sagte er stattdessen.
    »Nur Instandhalten und Schneeschieben«, antwortete Fauke, probierte den Kaffee und schmatzte zufrieden. »Düster und bedrückend und weit weg. Ich mag diesen Holmenkollhügel nicht. Dort wohnen doch nur Snobs, das ist nichts für einen zugereisten Gudbrandsdaler wie mich.«
    »Und warum verkaufen Sie es dann nicht?«
    »Meiner Tochter gefällt es. Sie ist ja dort aufgewachsen. Sie wollten über Sennheim sprechen, oder?«
    »Ihre Tochter wohnt alleine dort?«
    Harry hätte sich die Zunge abbeißen können. Fauke nahm einen Schluck aus seiner Tasse und behielt den Kaffee lange im Mund. »Sie wohnt dort mit einem Jungen, Oleg.«
    Sein Blick war abwesend und er lächelte nicht mehr.
    Harry zog ein paar rasche Schlussfolgerungen. Zu rasch vielleicht, doch wenn er Recht hatte, war dieser Oleg der Grund dafür, warum Sindre Fauke nun in Majorstua wohnte. Sie lebte also nicht allein, er sollte sie vergessen. Auch in Ordnung, dachte er.
    »Ich kann Ihnen nicht allzu viel sagen. Wie Sie wissen, arbeiten wir …«
    »Ist schon klar.«
    »Gut. Ich möchte gerne hören, was Sie über die Norweger wissen, die in Sennheim waren.«
    »Oh, wir waren viele, wissen Sie.«
    »Diejenigen, die heute noch leben.«
    Fauke musste lächeln.
    »Nicht, dass ich morbid wäre, aber das macht es wesentlich leichter. Wir starben wie die Fliegen an der Ostfront. Durchschnittlich sechzig Prozent meiner Einheit jedes Jahr.«
    »Wahnsinn, die Sterberate der Heckenbraunellen, äh …« »Ja?«
    »Ach nichts, reden Sie bitte weiter.«
    Harry starrte beschämt in seine Kaffeetasse.
    »Der Punkt ist, dass man im Krieg verdammt schnell lernen muss«, fuhr Fauke fort. »Überlebst du die ersten sechs Monate, ist die Chance, den ganzen Krieg zu überleben, plötzlich um ein Vielfaches höher. Du trittst nicht auf Minen, hältst dich im Schützengraben dicht am Boden und wachst auf, wenn du den Ladegriff eines Mosin-Nagant-Gewehres hörst. Und du weißt, dass es keinen Platz für Helden gibt und dass die Angst dein bester Freund ist. Nach sechs Monaten waren wir deshalb eine kleine Gruppe überlebender Norweger, die erkannten, dass sie den Krieg vielleicht überleben würden. Und die meisten von uns waren in Sennheim gewesen. Nachdem der Krieg weiter fortgeschritten war, hatten sie die Trainingslager weiter ins deutsche Landesinnere verlegt. Oder die Freiwilligen kamen direkt aus Norwegen. Wer direkt kam und keine Ausbildung hatte …«
    Fauke

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