Rott sieht Rot
man keine Bleibe hat.«
Ich legte zwei Euro in seine rissige, verhornte Hand. »Trotzdem vielen Dank.« Er verstaute die Münzen in einer Seitentasche seines Rucksacks.
»Hat mich gefreut. Remi. Bis dann.« Er sah mich nicht an und wanderte die leere Straße hinunter.
Es wurde nun heller; der Himmel zeigte schon eine deutliche Spur von Blau. Ich stand auf und inspizierte noch einmal den Laden. Ich beschloss, es gut sein zu lassen, ging zum Wagen zurück und fuhr nach Hause.
Ich duschte ausgiebig und schlief bis halb zwei. Ich wäre noch länger im Bett geblieben, aber das Telefon weckte mich.
»Von Rosen-Winkler«, meldete sich eine Frauenstimme.
»Guten Morgen«, sagte ich und unterdrückte ein Gähnen.
»Und?«, fragte die Baronin. »Hat sich was ergeben?«
»Ich hätte Sie schon angerufen«, sagte ich. »Ich würde ganz gern etwas Schlaf nachholen, wenn es recht ist.«
»Mir war klar, dass Sie keine Ahnung vom Umgang mit Kunden haben«, sagte sie. »Nach Ihrer Ziererei gestern. Nicht sehr professionell.«
»Jedenfalls habe ich sehr professionell Ihren Laden vor weiteren Anschlägen beschützt. Sie können zufrieden sein.«
»Zufrieden bin ich erst, wenn ich für meine zweihundert pro Wache den Täter bekomme. Ich zahle Ihnen ja mehr, als mein Laden einbringt.«
»Das wiederum ist vielleicht auf mangelnde Professionalität Ihrerseits zurückzuführen«, gab ich zu bedenken.
Sie lachte gekünstelt auf. »Dass ich mir das bieten lassen muss! Na ja, im Grunde tue ich ja nur meiner lieben Freundin Jutta einen Gefallen, wenn ich Sie beschäftige.«
»Ich habe den Eindruck, dass sich hier ziemlich viele Leute gegenseitig einen Gefallen tun«, sagte ich.
»Wie meinen Sie das denn?«
»Jutta tut Ihnen einen Gefallen, indem sie sich um die Bewachung kümmert. Sie tun Jutta einen Gefallen, indem Sie mich beschäftigen. Das geht ja munter reihum.«
»Hauptsache, mein Schaufenster bleibt sauber. Heute Abend noch, dann können Sie ja den Auftrag hinschmeißen, wenn Sie wollen. So ist zumindest unsere Abmachung. Ich habe im Moment sowieso andere Sorgen.«
»Ich weiß. Ihre Hochzeit. Das Remscheid-Event des Jahres. Kümmern Sie sich in Ruhe um Ihren Kram. Ich mache meinen Job schon. Sie kriegen morgen einen Bericht und spätestens am Montag die Rechnung.«
Ich legte auf und rief Manni an. Ich wollte mich nach Taschencomputern mit Spielen erkundigen. Die zweite Nacht sollte gemütlicher werden. Manni war zum Glück erreichbar. Ich schilderte ihm die Situation.
»Hast du kein Handy?«, fragte er.
»Klar. Aber Telefonieren finde ich nicht so spannend wie Spielen. Außerdem ist es ein bisschen teuer.«
»Das meine ich nicht. Was für ein Handy hast du?«
»Ein Siemens, glaube ich. DX-irgendwas. Mit einer D2-Karte. Wieso?«
»Da hast du ein ganz nettes Labyrinth-Spiel drauf. Kostenlos und sicher genauso unterhaltsam wie dieser Nintendo-Kram. Nur das Display ist ein bisschen klein.«
Er erklärte mir, wie ich damit umgehen musste.
Ich zog mich an und verbrachte den Nachmittag im Café Engel - an einem Außentisch bei schönstem Wetter.
*
Als ich um neun Uhr zur zweiten Bewachungsschicht aufbrach, war ich besser vorbereitet. Ich hatte zwei Decken dabei, einen Mantel, eine Mütze und zum Lesen ein paar Zeitungen. Auch für das leibliche Wohl hatte ich gesorgt: Eine Thermoskanne mit Kaffee würde mich eine Weile wach halten. Unterwegs kaufte ich an einer Tankstelle noch zwei belegte Baguette-Brötchen. Damit musste ich eigentlich klar kommen.
Leider gab es an diesem Abend in der Scharffstraße keinen freien Parkplatz. Ich studierte den Stadtplan und wich auf die Mandtstraße aus, die allerdings etwas weiter entfernt war.
Die erste Schicht bis etwa halb zwölf wollte ich erst einmal ohne die Plastiktüte mit meiner Ausrüstung verbringen, damit ich mich nicht zu schnell daran gewöhnte. Ich musste die Erleichterungen rationieren. So ließ ich den Kram im Auto.
Ich versuchte, die Zeit ein wenig zu genießen, und stellte mir vor, ich sei ein potenzieller, solventer Kunde, der in den Läden zugreifen konnte, wie er wollte. Der Kreislauf des Konsums war perfekt geschlossen: Man plante seine Heirat, indem man den Laden der Baronin in Anspruch nahm. Wie ich hinter der Scheibe erkannte, bot sie auch »Beratung für den schönsten Tag im Leben« an.
Wenn man dann seine Hochzeitsreise vorbereiten wollte, brauchte man nur gegenüber ins Reisebüro zu schauen. Die gemeinsame Wohnung konnte man ebenfalls sofort
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