Rott sieht Rot
obdachlos wurdest?«
»Ich hab studiert«, sagte er.
»Wirklich? Was denn?«
»Germanistik und Soziologie. In Köln.«
»Im Ernst? Das hab ich auch mal ein paar Semester gemacht.«
»Wann?«
»Mitte der Achtziger.«
»Ich etwas früher. Ich bin wenig an die Uni gegangen. Ich wollte eigentlich Schriftsteller werden.«
»Und was hast du so geschrieben?«
»Zwei Romane und ein paar Kurzgeschichten.«
»Hast du was veröffentlicht?«
Er schüttelte den Kopf. »Wollte keiner lesen.«
»Worum geht es in deinen Romanen?«
»Um nichts Besonderes. In dem einen läuft ein Typ durch die Stadt, in der er studiert, und sucht nach dem Sinn des Lebens. In dem anderen geht es um einen Professor, der feststellen muss, dass er immer nur dem Kapital in die Hände gearbeitet hat…«
»Hättest du nicht mal Lust, Krimis zu schreiben? Ich könnte dir da ein paar Story-Ansätze liefern.«
Er wandte sich der Zeitung zu. »Vergiss es. Diesen kommerziellen Mist schreibe ich nicht. Lieber lass ich es ganz.«
Ich hätte ihn gern noch gefragt, wie er obdachlos geworden war, aber er wirkte plötzlich sehr mürrisch.
Ich trank etwas Kaffee, von dem Volker nichts wollte, und schnappte mir eine andere Zeitung. Ich blätterte ein bisschen herum und fand eine Meldung, die mich aus beruflichen Gründen interessierte.
»Nähe zur Autobahn beliebt bei Einbrechern«, lautete der Titel. »Wohnungen und Häuser in Autobahn-Nähe werden besonders gern von Einbrechern heimgesucht«, begann der Text. »Der Grund liegt vor allem in der günstigen Fluchtmöglichkeit. Der Zeitfaktor spielt bei Einbruchsdelikten eine große Rolle. Nur wenige Minuten brauchen professionelle Diebe, um in ein Haus zu gelangen und die Wertsachen wie Hifi-Geräte, Schmuck oder Geld in ein bereit stehendes Fahrzeug zu verfrachten. Oft handelt es sich um systematisch arbeitende Banden.«
Es folgte der Bericht über ein paar Fälle, die sich in den letzten Tagen im Bergischen Land zugetragen hatten. Einmal waren die Einbrecher ohne Beute geflohen, weil sich ihnen ein rüstiger Rentner in den Weg gestellt hatte. Die Polizei empfahl, in den Wohngebieten auf verdächtige Personen zu achten und Fahrzeugtyp und -kennzeichen zu notieren.
Gegen halb zwei spürte ich, dass mir die letzte unbequeme Nacht ziemlich in den Knochen lag. Das bisschen Schlaf hatte nicht gereicht. Volker hatte damit weniger Probleme. In seinen Mantel gehüllt und mit weit heruntergezogener Mütze lag er in der Ecke unter dem Schaufenster mit dem Nobelbett.
Irgendwann begann ich auch ein bisschen zu dösen, schreckte aber immer wieder auf und beschloss, meine Notreserve an Unterhaltung in Anspruch zu nehmen. Das Handy-Labyrinth-Spiel.
Ruckartig zeichnete das Display die Schritte. Manchmal geriet man vor eine Wand und sah nichts mehr von den perspektivischen Linien, die Gänge und Abzweigungen darstellen sollten. Dann musste man wieder etwas zurück und sich einen Überblick über die Lage verschaffen. Ich bekam schon eine kleine Lähmung im rechten Daumen, der andauernd die Richtungstasten bewegen musste, doch als ich es schließlich geschafft hatte, packte mich der Ehrgeiz. Ich startete sofort ein neues Spiel. Der Keim zur Volkskrankheit der Nintendo-Generation war gelegt. Wenn ich ihm Raum gab, würde er wachsen und gedeihen. Beängstigend.
Es sollte aber nicht so weit kommen. Ein metallisches Geräusch holte mich in die Wirklichkeit zurück.
Es klang wie eine ganz leise Fahrradklingel - ein Ton, der entsteht, wenn man seinen Drahtesel irgendwo anlehnt. Ich lauschte. Volker war wach geworden. Er richtete sich auf und sah mich fragend an. Ich legte den Finger an den Mund und erhob mich. Die wachsende innere Erregung trieb die Kälte aus meinen Knochen.
Ich umrundete die Säule, hinter der wir uns verborgen hatten, und versuchte vorsichtig, den Laden ins Blickfeld zu bekommen. Neben dem Schaufenster lehnte ein Fahrrad an der Mauer. Ich nahm eine Bewegung wahr. Jetzt ertönte ein Klackern, als wenn jemand eine Spraydose schüttelte, dann war eine Sekunde Pause, und das typische Fauchen signalisierte, dass ich langsam was unternehmen musste.
Ich rannte los.
Eine dunkel gekleidete Gestalt mit schwarzer Mütze drehte sich um und sah mich erschrocken an. In der rechten Hand hielt sie eine Spraydose; ein kleiner gesprühter Strich befand sich bereits auf dem Glas.
Die Gestalt riss die Augen auf und schien vor Schreck erstarrt zu sein. Als ich bei ihr war, drehte sie sich um und wollte zum Fahrrad.
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