Rotwild: Der zweite Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
Bezügen zu Janus Dahlin überprüfen müssen, aber die Dimensionen einer solchen Arbeit wirkten so groß und unüberschaubar, dass es Delgado schauderte und er auf eine andere, konkretere Richtung der Ermittlung hoffte. Außerdem konnten sie schließlich erst mit der Suche nach Schnittpunkten oder Querverbindungen zwischen dem Opfer und seinem Täter beginnen, wenn sie ein einigermaßen konkretes Bild von Dahlin skizziert hatten.
Delgado hackte in seine Tastatur und las:
Janus Dahlin kommt am 17.05.1960 im Krankenhaus von Linköping zur Welt. Sein Vater ist Anwalt für Verwaltungsrecht, seine Mutter Sekretärin bei Ericsson. Vier Jahre später wird ein Bruder geboren. 1979 macht er Abitur, dann folgt der Wehrdienst in einer Kaserne in Nordschweden. 1981 beginnt Dahlin ein Lehramtsstudium in Linköping: Geschichte, Englisch und Deutsch. 1983 geht er für ein Auslandssemester nach Brighton, ab 1985 auch für längere Zeit nach Hamburg. Erst viereinhalb Jahre später kehrt er nach Schweden zurück und schließt sein Studium ab. Er beginnt in einer kommunalen Mittelschule in Värnamo zu arbeiten, Ende der Neunzigerjahre wechselt er in die Erwachsenenbildung. Dort, bei KOMVUX, wird ihm wegen Umstrukturierungen 2008 gekündigt, seitdem arbeitet er als Aushilfslehrer. Als junger Mann wird Dahlin zweimal polizeilich auffällig: 1982 wird er bei einer Demonstration gegen Atomkraft wegen Steinewerfens verhaftet, ein Jahr danach erfolgt eine Festnahme im Dom von Linköping, wo er gemeinsam mit drei anderen Aktivisten während des Weihnachtsgottesdienstes Flugblätter mit der Parole GOTT IST TOT verteilt. Dann ist fast dreißig Jahre Ruhe. Erst im Frühjahr 2010 taucht Janus Dahlin wieder in einem polizeilichen Zusammenhang auf. Es kommt zu einer tätlichen Auseinandersetzung vor einem Wahlstand der Partei Schwedendemokraten auf dem Marktplatz von Växjö, in deren Verlauf ein Tisch mit Informationsmaterial der rechtspopulistischen Partei umgeworfen und eine Traube heliumgefüllter Werbeballons losgerissen wird. Zwei Lokalpolitiker der Schwedendemokraten holen sich blutige Nasen und fangen sich einen Hundebiss ein. Sie zeigen Dahlin wegen Körperverletzung und Sachbeschädigung an, Dahlin erstattet im Gegenzug Anzeige wegen Volksverhetzung. Zeugenaussagen zufolge werden Nettigkeiten wie Kommunistensau und Nazischweine ausgetauscht. Der genaue Hergang kann nicht rekonstruiert werden und die Ermittlungen werden eingestellt.
Bei dem Gedanken an die beiden vermöbelten Schwedendemokraten musste Delgado grinsen. Dann hatte er eine Idee. Er googelte den Vorgang. Tatsächlich fand er im Onlinearchiv von Smålandsposten einen kurzen Bericht und ein Foto von dem demolierten Wahlstand. Er druckte das Bild aus, kritzelte einen Smiley an den Rand und legte es Anette Hultin auf den Schreibtisch. Sie hatte bei der letzten Wahl für die Schwedendemokraten gestimmt.
18
Sara Saale war selbst in ihrem Schmerz eine schöne Frau. Der Kummer und das Entsetzen über den Tod von Janus Dahlin legten einen Glanz auf ihre dunklen Augen, der noch nicht da gewesen war, als Ingrid Nyström das große, kühle Bürgerhaus betreten hatte. Sara Saale war überrascht gewesen, eine Polizeibeamtin an ihrer Tür zu sehen. Sie hatte sie über gebohnerte Dielen in einen Salon geführt und gebeten, einen Augenblick zu warten. Nyström hatte sich steif auf ein sehr alt aussehendes Sofa gesetzt und den imposanten Kronleuchter bewundert. Sie war sich gar nicht bewusst gewesen, dass es in Växjö Zimmer mit derart hohen Decken gab. Saale war mit einem eleganten Teeservice auf einem Tablett wiedergekommen und hatte sich Nyström mit verschränkten Beinen gegenübergesetzt.
»Ich bin hier wegen Janus Dahlin«, hatte Nyström gesagt.
Das feine, chinesische Porzellan hatte vibriert. Ein Teelöffel war zu Boden gefallen, auf einen hohen Flor, vollkommen geräuschlos. Saale hatte sofort begriffen. Auch Nyström hatte verstanden.
»Es tut mir sehr leid«, sagte sie. Und dann, nach einer langen Pause: »Er war dein Partner?«
»Er war alles«, sagte Saale tonlos.
Die Sonnenstrahlen, die ihren Weg in den Salon fanden, gliederten das Gesicht der Frau in helle und dunkle Flächen. Dreiecke, Trapeze, Halbkreise. Vollkommene Symmetrie. Dann wendete sie leicht den Kopf. Die Geometrie löste sich in Anmut auf. Ihr Schmerz war woanders, nicht in ihren Gesichtszügen. Er lag als Glanz auf ihren Augen.
»Wie?«, fragte sie.
»Wir gehen davon aus ...«, sagte Nyström. »Vieles
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