Rotwild: Der zweite Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
Jahren angezündet worden sind? Es ist der Wahnsinn: Leidensdruck, Leistungsdruck, Renditendruck. Gefasel vom internationalen Wettbewerb. Die Chinesen drehen an der Globalisierungsschraube und Schweden läuft kollektiv Amok.«
»Und deswegen sitzt du sonntags in deinem Büro?«
»Unter anderem.« Fehrm lächelte kurz. »Nebenbei organisiere ich Unterricht.«
Nyström lächelte auch. Dann fragte sie nach Janus Dahlin.
»Ich habe die Akte nach deinem Anruf rausgesucht. Ein armer Hund, dieser Dahlin.«
Auf Nyströms Unterarm stellten sich Härchen auf.
»Wie meinst du das?«
»Er ist einer der Verlierer unseres neuen, tollen Bildungsmarkts. Der schönen Ideologie von der Schule als Unternehmen. Der Akte zufolge ist Dahlin ein fähiger Mann, solide Ausbildung, sogar ein Auslandsstudium, fachlich spitze, kann gut mit den Schülern.«
»Aber?«
»Es gibt in Växjö, in ganz Süd- und Mittelschweden so gut wie keine freien Stellen. Und dann die Fächerkombination: Geschichte, Englisch, Deutsch. Kann man vergessen. Dazu kommt sein Alter, über fünfzig. Über den Status eines Aushilfslehrers kommt er wahrscheinlich nicht mehr hinaus.«
»Aushilfslehrer, was bedeutete das konkret?«
»Das sind die ärmsten Schweine. Als Aushilfslehrer hinterlegt man seine Kontaktdaten in einem Online-Pool und wenn irgendwo in der Kommune ein Lehrer krankheitsbedingt ausfällt, bekommt man morgens um sieben eine SMS. Wer dann schnell zuschlägt, steht eine Stunde später vor einer völlig unbekannten Klasse und unterrichtet völlig unbekannten Stoff. Für sehr wenig Geld versteht sich. Als Aushilfslehrer ist man heute hier und morgen dort und nirgendwo richtig. Man hat keine Kollegen, keine Klasse, kein festes Einkommen. Unter dem Strich verdienen Aushilfslehrer im Schnitt kaum mehr als die Putzkräfte an der Schule.«
»Aber Janus Dahlin ist doch schon länger hier?«
»Er hatte Glück, eine Schwangerschaftsvertretung. Eine Kollegin hat ihn empfohlen. Sie ist mit Dahlin befreundet. Ich konnte ihm einen Halbjahresvertrag anbieten. Für einen Aushilfslehrer das große Los. Er hat sich hier gut geschlagen, aber nach dem Sommer ist damit wieder Schluss und er fällt in die Hölle der täglichen Unterrichtsbörse zurück. So gerne ich ihn hierbehalten würde: Uns kommunalen Schulen sind in dieser Hinsicht die Hände gebunden.«
Fehrm hob die Schulter, wie um zu bekräftigen, was er gesagt hatte.
Nyström sah auf das großformatige, gerahmte Poster, das über dem Schreibtisch des Direktors an der Wand hing, darauf waren drei Jugendliche zu sehen, die in die Kamera lachten. Darunter stand: Schweden bildet.
Plötzlich hatte sich die Lichtstimmung im Büro geändert, es war dunkler geworden und auf Fehrms Gesicht lag ein Schatten, der vorher nicht da gewesen war. Draußen vor dem Fenster mit dem Blick auf einen Parkplatz hatte sich eine Wolke vor die Nachmittagssonne geschoben.
»Diese Kollegin, von der du gesprochen hast. Die Freundin, die Dahlin empfohlen hat. Wie war doch gleich ihr Name?«
14
»Da war ein Hai«, sagte der alte Mann.
»Wie bitte?«, fragte Anette Hultin.
»Ein Hai«, knarzte der Alte. Hultin seufzte. Sie warf Göran Lindholm, dem jungen Polizeianwärter, einen Blick zu. Lass uns abhauen, sollte dieser Blick sagen, das bringt doch nichts. Aber Lindholm reagierte nicht, sondern kaute konzentriert auf seiner Unterlippe herum. Dabei war die Situation klar. Der alte Sack mit dem zerfurchten Gesicht, der hier bei vierundzwanzig Grad im Schatten unter einer Decke im Liegestuhl auf seiner Veranda hing, hatte weder am Vorabend noch in der Nacht und erst recht nicht am frühen Morgen etwas Ungewöhnliches in Evedalsvägen bemerkt. Das war schade, denn von seiner Veranda aus hatte er einen ausgezeichneten Blick auf die kleine Brücke, die Kronoberg mit Hissö verband, und jeder Jogger, Radfahrer, Ausflügler und Tourist, der in das Naherholungsgebiet auf die Insel wollte, musste das Haus des alten Per Ekelund passieren. Aber leider hatte Ekelund ebenso wenig Erhellendes zur Ermittlung beizutragen wie seine Nachbarn, die sie bereits in der letzten Stunde abgeklappert hatten.
»Ein Auto«, sagte der Alte. »Angemalt wie ein Hai. Das ist das Einzige, an das ich mich erinnere. Also das einzig Auffällige. Und danach hattet ihr doch gefragt.«
Hultin verdrehte die Augen und machte Anstalten, aus dem Gartenstuhl aufzustehen. Lindholm berührte ihren Arm.
»Dieses Haiauto«, fragte er, »wann kam das denn hier
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