Rotwild: Der zweite Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
Landschaft um Vislanda lag, ergab ein so idyllisches Panoramabild, dass es einem touristischen Werbeprospekt über das Småland hätte entnommen sein können. Wären da nicht die auffälligen handgemalten Schilder am Wegesrand gewesen:
Stoppt das Milchmonopol!
Gegen die Milchpreissenkung!
Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel!
Als Stina Forss die letzte Kurve des gewundenen Schotterwegs nahm und auf den Hof einbog, sah sie auch das Banner, das an dem Silo befestigt war und das durchgestrichene Emblem einer bekannten Großmolkerei zeigte. Als sie ausstieg, schlug ein Hund an. Aus dem offenen Scheunentor preschte ein riesenhafter Traktor auf sie zu, der in seinen Dimensionen der Forstmaschine von Joel Åhsberg in nichts nachstand. Kurz vor ihr bremste das knatternde Ungetüm ab, sodass die hochgefahrene Schaufel des Gefährts etwa dreißig Zentimeter über ihrem Kopf wippend zum Stehen kam. Forss musste schlucken. Aus dem Führerhaus des Traktors kletterte eine junge Frau in sehr kurz abgeschnittenen Jeans und derben Gummistiefeln. Sie hatte ein hübsches Gesicht mit einer spitzen Nase, das von langem, lockigem blondem Haar umrahmt wurde. Die Zipfel ihrer karierten Bluse waren unter der Brust zusammengeknotet, sodass ihr flacher Bauch zu sehen war. In der Aufmachung könnte sie für einen erotischen Landmädel-Kalender posieren, ging es Forss durch den Kopf, oder, wenn sie noch einen weiteren Knopf ihrer Bluse öffnete, für den Playboy. Aber vielleicht war Moa Matsson ja auch einfach nur warm, jedenfalls gab es außer Forss und den Kühen auf der Weide niemanden, der ihr knappes Outfit bestaunen konnte. Die Frauen gaben sich die Hand, sie hatten am Morgen telefoniert. Von Moa Matsson ging ein Geruch nach Heu, Klee und Vieh aus, eigentlich eine ganz interessante Mischung, fand Forss. Sie wies mit dem Kopf in Richtung der Protestschilder, die am Zaun an der Straße befestigt waren.
»Vislanda, die Hochburg des Widerstands gegen die Molkereikonzerne?«
Matsson lachte. Sie hob eine Faust in die Luft, eine ironische Geste.
»Revolución!«, sagte sie mit einem aufgesetzten, spanischen Akzent, dann lachte sie noch einmal, bevor sie in breitestem Smålandisch weitersprach.
»Natürlich bringen die Schilder gar nichts, wer soll die hier draußen auch schon lesen, außer den anderen Bauern, und die sehen die Sache genauso. Aber irgendwas muss man ja machen, um sich nicht vollkommen hilflos zu fühlen.«
»Was ist denn das Problem mit den Milchpreisen?«, fragte Forss.
»Na ja, es gibt nach den letzten Fusionen nur noch zwei Großmolkereien in Schweden, big player , der eine beherrscht allein schon siebzig Prozent des Marktes. Die Preise in den Supermärkten werden gedrückt, bis alle kleinen Meiereien und Molkereien kaputt sind und aufgekauft werden können. Die Preissenkungen werden natürlich an uns Erzeuger weitergereicht, es wird jedes Jahr schlimmer und immer weniger Betriebe können sich über Wasser halten. In den vergangenen fünf Jahren ist die Zahl der schwedischen Milchbauern um ein Drittel zurückgegangen, das ist den Konsumenten kaum bewusst. Hauptsache, die Milch und der Käse sind schön billig«
»Und woher kommen dann die Molkereiprodukte im Regal, wenn immer mehr Bauern bankrottgehen?«
Matsson lachte wieder auf, diesmal klang es bitterer.
»Zum Teil aus dänischen Großbetrieben. Mit unseren fünfunddreißig Tieren hier sind wir längst zu klein, um profitabel arbeiten zu können. Sobald meine Eltern in Pension sind, geht hier für immer das Licht aus.«
»Und der Hof?«
Matsson zuckte die Schultern.
»Keine Ahnung. Vielleicht was mit Ponys, für deutsche Touristen oder so. Oder ich arbeite mit Fotos.«
»Aha«, sagte Forss. Es gehörte tatsächlich nicht viel Fantasie dazu, um sich Moa Matsson mit einer Heugabel in der Hand für ein Fotoshooting räkeln zu sehen.
»Ich habe da so ein Projekt.« Sie spielte mit einer Haarsträhne. »Ich fotografiere hier auf dem Land verrottende Telefonmasten. Das Schweden von vorgestern, sozusagen. Die Ohnmacht des Altertümlichen in der Onlinegesellschaft. Philosophisch verorte ich meine Arbeit dabei irgendwo zwischen dialektischem Materialismus und Poststrukturalismus, aber ich weiß nicht, ob man das den Fotos ansieht. Eigentlich ist es nur ein Hobby, aber die Kunsthochschule in Stockholm würde mich nehmen. Mal sehen.« Sie lächelte. »Aber du bist doch hergekommen, um über Janus zu sprechen, oder?«
Sie waren in das Hauptgebäude gegangen, hatten
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