Rotwild: Der zweite Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
gespeichert. Ich sehe die Schlagzeile schon vor mir: Geschäftsführung von Pflegedienst blockiert Mordermittlung .«
Er fingerte sein Handy aus der Hosentasche und begann auf dem Display herumzustreichen.
»Stopp!«, rief Quist und schlug mit der flachen Hand auf die Schreibtischplatte. »In Herrgottsnamen, wir erzählen es ja!«
Lindholm lächelte und legte sein Handy zur Seite, Hultin lehnte sich weit in ihrem Stuhl zurück.
Die Geschichte, die Stück für Stück ans Licht kam, war folgende: An einem Samstag im Oktober des letzten Jahres hatte der Verein einen 3-D-Parcours in der Nähe von Furuby aufgebaut, gut zwanzig Kilometer südöstlich von Växjö. An der Sport- und Kostümveranstaltung hatten vierundzwanzig Bogenschützen teilgenommen, am Abend war gemeinsam gegrillt worden und es hatte eine Mittelalter-Rockband gespielt.
»Der Leadsänger konnte sogar Feuer spucken!«, betonte Wedén.
Während das Fest in vollem Gange gewesen und der Met in Strömen geflossen war, war der Bauer, von dem man die Ländereien für den Parcours und die Festlichkeiten gemietet hatte, angestürmt gekommen und hatte wutentbrannt damit gedroht, sofort alle Sportschützen von seinem Grund und Boden zu werfen. Wahnsinnige hätten mit Pfeil und Bogen auf seine Kühe geschossen, zwei wertvolle Milchkühe seien verletzt, eine dritte hätte der Tierarzt gerade einschläfern müssen.
»Wie der damals ausgeflippt ist!«, sagte Quist. »Wegen einer ollen Kuh!«
Dem Vereinsvorstand war es schließlich gelungen, den völlig aufgebrachten Mann halbwegs zu beruhigen, wobei auch die beträchtliche Entschädigung, die man dem Landwirt anbot, eine gewisse Rolle gespielt haben mochte. Die verletzten Kühe waren ein Unfall, das Resultat einer tragischen Verwechslung mit den Kunststofftieren, die einem angetrunkenen Schützen im Zwielicht der frühen Dämmerung widerfahren sein musste. Ärgerlich sei allein gewesen, dass der schockierte Tierarzt bereits die Polizei und die Presse informiert hatte, sagte Quist und sah die Ermittler abwartend an. Wedén fummelte an ihrer Perlenkette.
»So viel wissen wir bereits«, sagte Hultin. »So ähnlich steht es in dem Zeitungsbericht und auch in unseren Akten. Nur, das war nicht die ganze Wahrheit, oder? Was ist an dem Herbstabend in Furuby wirklich passiert?«
Quist massierte sein eckiges Kinn. Wedén räusperte sich, dann begann sie zu erzählen. Ihre Stimme klang dunkler und ernsthafter als vorher, so als habe die rundliche Frau ihren Miss-Piggy-Habitus mit einem Mal abgeschüttelt.
»Es gibt da einen Jungen bei uns im Verein, der anders ist. Er hat ein, na ja, etwas problematisches Verhältnis zu Gewalt. Zu Tieren. Die Sache mit den Kühen ... so etwas ist vorher schon passiert. Einmal waren es Eichhörnchen, ein anderes Mal eine Katze.«
»Die unschöne Geschichte mit den Fröschen«, warf Quist ein.
»Genau. Und das sind nur die Sachen, von denen wir wissen. Wir haben uns natürlich so unsere Gedanken gemacht. Mit den Eltern gesprochen. Ihnen geraten, einen Psychologen zu kontaktierten. Wir haben nach Lösungen gesucht ...«
»Aber warum habt ihr das um Gottes willen nicht der Polizei gemeldet? Warum habt ihr geschwiegen?«, rief Hultin.
Wedén warf Quist einen schnellen Blick zu.
»Wir haben eine interne Lösung vorgezogen.«
»Wie heißt der Junge?«, fragte Lindholm.
»Magnus«, sagte Wedén. »Magnus Hasselgreen.«
Hultin schnaubte empört.
»Doch wohl nicht der Sohn von Tomas Hasselgreen?«
Quist nickte stumm.
»Wer ist Tomas Hasselgreen?«, fragte Lindholm.
»Ich kenne ihn aus meinem Leichtathletikverein«, sagte Hultin. »Er arbeitet bei der Kommune und berät die Angehörigen von pflegebedürftigen Senioren. Und wenn ich mich nicht sehr irre, dann ist er derjenige, der den beiden feinen Herrschaften da drüben ihre lukrativen Aufträge zuschanzt.«
11
Ingrid Nyström empfing den Vater und den Bruder von Janus Dahlin im Krankenhaus. Neben der pathologischen Abteilung, in der der Leichnam aufbewahrt wurde, hatte man für Angehörige, die einen Toten zu identifizieren hatten, ein sogenanntes Trauerzimmer eingerichtet, einen hellen, in Beigetönen eingerichteten Raum, in dem gerahmte Poster mit botanischen Motiven und christlichen Sinnsprüchen an den holzvertäfelten Wänden hingen. Kent Dahlin war ein großer schlanker Mann Anfang siebzig mit zurückgekämmtem weißem Haar; sein Sohn Frederik war Ende vierzig, nur unwesentlich kleiner, dafür aber kräftiger. Er trug eine
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