Rotwild: Der zweite Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
sich in die Küche gesetzt und Matsson hatte einen vor Kälte beschlagenen Krug mit Wasser und Birkensirup sowie zwei Gläser auf den Tisch gestellt. Die Nachricht vom Tod ihres politischen Genossen erschütterte die junge Frau merklich. Lange saß sie still auf der Küchenbank und kaute auf ihrer Unterlippe herum. Forss gab ihr Zeit. Von der Decke baumelten mehrere spiralförmige Fliegenfänger und drehten sich langsam um die eigene Achse. Obwohl es in der Küche sehr warm war, spürte Forss an ihren Beinen Zugluft. Sie trank von dem Birkensirup. Er schmeckte gleichzeitig herb und süß und schien ihren Gaumen auf eine erfrischende Art zu betäuben. An der Wand hing ein Werbekalender mit Tiermotiven. Der Monat Juni zeigte einen schleichenden Luchs.
»Einmal hat er versucht, mich anzufassen«, sagte Moa Matsson.
Sie sah Forss an. Ihre Augen hatten nicht denselben Farbton. Das eine war grün mit einem Stich ins Braune, das andere war braun mit einem Grünstich. Vielleicht lag es aber auch daran, wie das Licht in den Raum fiel.
»Ich meine, ich mochte ihn wirklich gerne, aber er war ja mit Sara zusammen. Außerdem war er alt. Und jetzt ist er tot«, sagte sie und Tränen rannen über ihr Gesicht.
9
Porno, dachte Delgado, das ist emotionaler Porno, was die Leute über sich ins Internet stellen: banal und exhibitionistisch. Kinderfotos, Urlaubsfotos, iPhone-Fotos. Sein Favorit, weil in Hunderten Variationen zu sehen: Sonnenbrand mit Sonnenbrille vor Sonnenuntergang. Wer will das alles sehen, fragte er sich, wer will diesen ganzen Mist angucken und durchlesen? Pulitzerpreisverdächtige Einträge wie »esse gerade«, »gehe shoppen« oder »bin auf Klo«?
Er hatte sich zwei falsche Facebook-Profile angelegt, ein weibliches und ein männliches, mit Porträtfotos, die er von der Seite einer Modelagentur heruntergeladen hatte, und als Sonja, 29, Bankkauffrau und Lars, 35, Versicherungsmakler hatte er im Laufe des Vormittags unter den Teilnehmern des Bogenschützenturniers acht neue Freundschaften geschlossen. Woher nehmen die Leute morgens die Zeit, in ihren sozialen Netzwerken rumzudaddeln, fragte er sich, eigentlich müssten die doch alle bei der Arbeit sein oder in der Uni oder der Schule. Insgesamt hatte er zweiunddreißig Sportschützen bei Facebook gefunden, sogar den italienischen Mönch, der unter Hobbys »Gott« angegeben hatte. Dreizehn weitere Teilnehmer fand er über Google in Zeitschriftenartikeln erwähnt, auf Webseiten von Schulen, Sportvereinen und Uniclubs. Delgado sammelte Informationen wie ein Eichhörnchen Nüsse; er hatte sich zu Janus Dahlin drei digitale Körbchen zurechtgelegt: Persönliches, Politisches, Lehrtätigkeit. Alles, was ihm irgendwie relevant und nicht allzu abwegig erschien, trug er in diesen Ordnern zusammen. Nach fünf Stunden tat ihm der Rücken weh und seine Augen schmerzten. Er machte Mittagspause, aß in der Kantine ein schlaffes Stück Hackbraten mit Kartoffelpüree und Tiefkühlgemüse, trank anschließend einen Kaffee und ging vor die Tür, um eine Zigarette zu rauchen, wobei er sich mit einem Kollegen in Uniform über den anständigen Saisonstart unterhielt, den der ortsansässige Fußballverein Östers IF hingelegt hatte. Danach ging er zurück in sein Büro und sah sich die Beute an, die er während des Vormittags gemacht hatte. Im Ordner »Persönliches« hatte er Folgendes gesammelt:
Nils Spångberg, 49, wohnhaft in Växjö, war ebenso wie Dahlin in Linköping geboren und aufgewachsen.
Daniel Vidarsson, 43, wohnhaft in Tingsryd, geboren in Örebro, hatte ebenfalls an der Universität von Linköping studiert, allerdings zehn Jahre später.
Louise Malmberg, 32, wohnhaft in Växjö, war 1998 für ein Jahr lang Au-pair-Mädchen in Brighton, wo Dahlin 1981 ein Auslandssemester absolviert hatte.
Tjark Björkheim, 54, wohnhaft in Öjaby, hatte eine Dachdeckerfirma, die im letzten Jahr an einem Haus am Skogstorpsvägen, der Straße, in der auch Dahlin wohnte, gebaut hatte.
Das war alles nicht so doll, dachte Delgado, außer vielleicht die Sache mit derselben Heimatstadt. Aber andererseits war Linköping ja auch nicht gerade ein Dorf, in dem jeder jeden kannte. Möglicherweise sollte man trotzdem diesem Spångberg einmal auf den Zahn fühlen. Er markierte den Namen rot. Dann klickte er sich in den Ordner »Politisches«.
Therese Lindahl, 29, wohnhaft in Hässleholm, war im vorletzten Jahr zur Kassenwärtin des Ortsvereins der Linkspartei gewählt worden.
Claudio Gonzales,
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