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Rotwild: Der zweite Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)

Rotwild: Der zweite Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)

Titel: Rotwild: Der zweite Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Signe Danielsson , Roman Voosen
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unvollendet lassen, das war jetzt sicher. Helena brauchte einen Beschützer und er würde für sie da sein, würde für sie kämpfen, so wie er sich wünschte, schon damals um sie gekämpft zu haben. In der Zeit, bevor er alles verloren hatte.
    Auf dem Boden neben dem geköpften Leichnam hatte er das Manifest des Todesengels gefunden. Wörter, die wohl als Ergänzung zu der hastig verrichteten Inszenierung dienen sollten, beinahe so, als hätte der Rächer Angst bekommen, die Botschaft seiner Tat könnte nicht verstanden werden. Nun waren seine Aufzeichnungen in Zeuners Händen gelandet. Neugierig hatte er die eng beschriebenen Seiten durchgeblättert. Die hektische Handschrift war kaum zu entziffern gewesen, aber einzelne Sätze waren ihm in dicken Blockbuchstaben entgegengesprungen:
    Wer als Märtyrer lebt, muss auch als Märtyrer sterben.
    Milch wird fließen, Blut muss fließen.
    Schmerz bedeutet Reinigung.
    Der letzte Satz in dem Notizbuch lautete: Ich habe sie erkannt. Sie ist der Anfang, aber ich muss den ganzen Weg bis zum Ende gehen.
    Der grausame Engel würde Zeuner den Weg weisen, er brauchte nur der Spur aus Blut zu folgen. Er musste beinahe lächeln. Ausgerechnet er, der letzte Soldat des Sozialismus, glaubte an einen Engel.
    Bevor er das schwere Wohnwagengespann startete, nahm er mehrere lange Schlucke aus der Flasche, die er sich am Morgen in einem staatlichen Alkoholladen besorgt hatte. Es brannte in seinem Mund, seinem Hals, seiner Seele. Ein reinigendes Feuer, das nichts vom dummen, alten Zeuner übrig ließ.

MITTWOCH
    1
    Stina Forss wachte auf. Ihr Zimmer lag im Zwielicht. Es war die dunkle Stunde vor der Morgendämmerung. Sie blinzelte. Die Dinge um sie herum, der Nachttisch, die Lampe, der Stuhl, auf dem ihre Kleidung lag, hatten Konturen, aber keine Farbe. Es ist die graue Stunde, dachte sie. Trotzdem waren da Farben, nicht um sie herum, aber in ihr, vor ihrem inneren Auge, herübergerettet aus einem Traum. Braun, Gelb, Rot. Sie hatte sie von der anderen Seite des Schlafs mitgebracht, ja, sie war aufgewacht davon. Oder hatte ihr Nervensystem auf etwas anderes reagiert? Ein ungewöhnliches Geräusch? Den Stich einer Mücke? Sie griff nach dem Wasserglas, das auf ihrem Nachttisch stand, und trank. Die Farben verblassten bereits wieder.
    Braun, Gelb, Rot.
    Sie sprach sie aus, um an ihnen festzuhalten. Wir geben den Dingen Namen, um sie an uns zu binden, dachte sie. Wie Kindern. Kurz dachte sie auch an Sebastian und seinen Brief, der auf der Kommode im Flur lag, noch immer ungeöffnet. Sein Brief in einem braunen Umschlag. Doch sein Name ging nicht über ihre Lippen. Sie wollte nicht festhalten, sie wollte loslassen. Das hatte sie vor vielen Monaten entschieden, ein Entschluss, der kein Wenn und kein Aber zuließ. Und erst recht kein Zurück. Oder?
    Sie stand auf, es ging ganz von allein, die Schritte in den Flur und zurück. Schon war sie wieder in ihrem Bett. Den braunen Umschlag legte sie neben sich, auf das Kopfkissen. Sie ahnte, nein, sie wusste, was darin stand. Sebastians Bitte.
    Berlin.
    Ihr altes Leben, ihre alten Freunde.
    Die Lebendigkeit der großen Stadt.
    Und vor allem: Nähe. Seine Hände, sein Körper, seine Stimme. Verstanden werden, geborgen sein.
    Das alles war in dem Umschlag. Er lag ganz nah. Es wäre so leicht ihn zu öffnen. Sebastians Bitte nachzugeben und alles rückgängig zu machen. Sie griff nach dem Couvert. Das braune Papier war rau und warm. Sie schloss die Augen.
    Braun, Gelb, Rot.
    Das innere Bild. Die verblassenden Farben aus ihrem Traum formten ein Streifenmuster.
    Sie öffnete die Augen. Ihr Atem setzte für einen Moment aus. Sie hatte verstanden. Wahnsinn, dachte sie. Wenn es stimmt, ist es der reine Wahnsinn. Wieder sprang sie aus dem Bett. Sie zog sich etwas an, ohne darauf zu achten, was. Sie huschte die Treppe hinab, schlüpfte in ihre Schuhe. Schon saß sie in ihrem Auto. Sie startete den Wagen und wendete. Die Uhr auf dem Armaturenbrett des Polos zeigte zwanzig nach vier.
    Um zehn vor fünf bog sie in die Auffahrt von Janus Dahlins Haus. Eine Elster flüchtete vor dem Wagen, schrie erbost auf und hüpfte zur Seite. Forss stieg aus dem Wagen. Mit wenigen Schritten war sie an der Tür. Den passenden Schlüssel hatte sie noch immer in ihrer Handtasche. Sie schloss auf, trat ein und schaltete das Licht im Flur an. Sie ging direkt auf die Garderobe zu. Das, wonach sie suchte, war tatsächlich da. Es hing an einem Haken unter einem verstaubten Motorradhelm. Sie

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