Rotwild: Der zweite Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
worden.
»Oh«, sagte sie leise.
»Oh«, höhnte Edman, »oh, oh, oh! Nur hilft uns dieses Oh nicht viel weiter. Man ist nicht gerade begeistert über deine Performance hier. Der Stadtrat ist not amused. Der Staatsanwalt ist not amused. Und die stellvertretende Landespolizeichefin ist absolut not amused!«
»Mmh«, machte Nyström.
»Ich erwarte, dass du das wieder geradebiegst, gleich morgen früh auf einer zweiten Pressekonferenz. Dass du deine eklatante Fehleinschätzung allein auf deine Kappe nimmst. Ich will obendrein die Begriffe unerwartete Entwicklung und heiße Spur hören. Ermittlungserfolg wäre auch nicht schlecht.«
Die Flecken in Edmans Gesicht hatten die Farbe von reifen Johannisbeeren angenommen.
»Aber es gibt keine heiße Spur. Wir haben überhaupt keinen Ermittlungserfolg«, warf Nyström ein.
Edman funkelte sie an.
»Dann sorg dafür, dass es einen gibt! Es ist schließlich deine Karriere, um die es hier geht, Ingrid!«
19
Als sie nach Hause kam, stellte Stina Forss erleichtert fest, dass ihre Cousine Maj und sämtliche Mitglieder der Familie Lundin bereits ins Bett gegangen waren und sie sich nach dem langen Tag in Ruhe etwas zu essen machen konnte, ohne in höflich gemeinte Gespräche verwickelt zu werden. Am liebsten hätte sie sich sofort hingelegt, aber das ungute Gefühl in ihrem Magen erinnerte sie daran, dass sie tagsüber fast nichts gegessen hatte. Sie schaute in den Kühlschrank. Zwischen Marmeladengläsern und Milchpackungen fand sie einen zugedeckten Teller mit kalten Pfannkuchen, die Reste vom Abendessen der Lundins, extra für sie aufbewahrt, wie das von Maj beschriftete Zettelchen besagte. Das machte sie verlegen. Nein, es störte sie sogar. Sie starrte den Teller an und spürte, wie die Pfannkuchen sie mehr und mehr provozierten. Sicher, es war nett gemeint. Es war rücksichtsvoll und fürsorglich und bestimmt schmeckten die Pfannkuchen prima, wie alles, was Maj kochte und briet und backte ganz prima, nein, geradezu fantastisch schmeckte. Und es war ihr ein Rätsel, wie Maj es hinbekam, neben ihrem anstrengenden Beruf als Krankenschwester im Schichtdienst auch noch ein lebendiges Familienleben zu organisieren, zwei Kinder zu erziehen und nebenbei den Großteil des Haushalts zu schmeißen. Nur: Sie selbst hatte überhaupt keine Lust auf solch ein Familienleben. Auf die Erwartungen und Verpflichtungen, die damit verbunden waren. Sie wollte kommen und gehen können, wie es ihr passte. Weder ihre seelische Verfassung noch ihre berufliche Situation ließen Platz für etwas anderes. Gerade deswegen war sie doch hier, im ländlichen Schweden, am Arsch der Welt. Sie ließ die Pfannkuchen unberührt stehen und griff nach einer Joghurtpackung.
»Hej, Stina.«
Majs Stimme hatte sie erschreckt.
Sie hob den Blick und presste ein Lächeln hervor.
»Hej.«
»Es gibt Pfannkuchen für dich im Kühlschrank.«
»Ah, ja.«
Sie wusste nicht, was sie sonst dazu sagen sollte.
»Soll ich sie für dich rausholen?«
»Nein, danke, mir ist gerade nicht nach Pfannkuchen.«
»Sicher nicht? Wir haben extra welche für dich gemacht. Wir wussten ja nicht, dass du erst so spät nach Hause kommst. Du hast ja nicht Bescheid gesagt und ...«
»Nein, ich ... ich will jetzt nur Joghurt und ...«
Forss merkte, wie die Wörter stockten und wie hart ihre Stimme klang.
»Okay, schon gut, ich will dir nichts aufdrängen. Ich dachte nur ... vielleicht könnten wir einen Abend demnächst oder am Wochenende oder so auch mal zusammen essen. Schließlich wohnen wir gemeinsam unter einem Dach.« In Majs Stimme lag eine Unsicherheit, die für sie ungewöhnlich war. »Du warst ja das ganze Wochenende weg und danach bist du immer so spät nach Hause gekommen und deshalb haben wir ja immer noch nicht richtig deinen Geburtstag gefeiert. Oder eigentlich überhaupt nicht. Lea und Tuva wollen so gerne einen Kuchen für dich backen und sie haben auch ein Geschenk ...«
Forss spürte, wie ihr die Luft wegblieb und ihre Haut zu kribbeln begann. Sie kannte diese Zeichen. Nicht jetzt, bloß nicht jetzt, dachte sie. Sie kannte das Gefühl so gut. Das Letzte, was sie wollte, war hier auszurasten. Sie machte die Augen zu und zählte bis zehn, so wie sie es der Therapeut gelehrt hatte. Dann weiter bis zwanzig.
»Maj«, sagte sie mit zittriger Stimme. »Ich kann das nicht. Ich kann das jetzt wirklich nicht.«
»Warum ...?«
»Ich bin mitten in einer Mordermittlung.«
»Mordermittlung? Ich dachte, du bist bei der
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