Rotzig & Rotzig
nachgesehen.
Heiße Tröpfchen bildeten sich auf meiner Stirn und trotzten dem Ostwind. Die Jungs hatte man geleimt, doch ich, als Detektiv, ich hatte mich leimen lassen. Ein kurzer Besuch bei POM Schuster auf der Heißener Polizeiwache eliminierte meinen nächsten Verdächtigen.
Roland Siebling, der normalerweise Tag und Nacht in Haus Nr. 12 im Kinderzimmer hockte, ein Auge auf dem Bildschirm, eins auf der Zufahrtstraße, hatte sich während der gesamten Aufräumaktion nicht ein einziges Mal vom Spielplatz entfernt. Immer vorausgesetzt, man glaubte den Beobachtungen des uniformtragenden Schwachkopfs, der auch schon die Hoodies in Bausch und Bogen entlastet hatte.
„Wie sind Sie eigentlich auf die Idee gekommen, Siebling und mir in den Fahrradkeller zu folgen?“, fragte ich ihn über den Tresen der Wache hinweg. Schuster schraubte den Deckel von einer Thermoskanne, goss sich einen Kaffee ein und nahm einen Schluck, bevor er antwortete.
„Herr Siebling war überzeugt, Sie wären von der WO-DEGA beauftragt worden, ihn als Wortführer der Mietstreikenden einzuschüchtern. Also dachte ich, es könnte nicht schaden, Sie beide im Auge zu behalten.“
„So ein Blödsinn! Ich sollte nur die Einbruchsserie beenden.“
„Das haben Sie ja nun getan.“
„Fraglich. Tatsache ist, dass die Falschen die Konsequenzen dafür tragen müssen.“
Schuster blickte in seinen Becher, wog das Haupt hin und her. „Wenn das stimmt, bleibt die Frage, warum Sie nicht gründlicher recherchiert haben?“ Ich sagte nichts, obwohl ich die Antwort kannte: weil ich weg wollte aus dieser beschissenen Wohnsiedlung, aus diesem Winter, aus diesem Leben. Darum war ich nur allzu bereit gewesen, die erste sich bietende Lösung zu akzeptieren.
„Herr Kryszinski, es ehrt Sie in gewisser Weise, dass Sie die Jungs wieder raushauen wollen. Doch was passiert ist, ist passiert. Daran ist nun nichts mehr zu ändern. Unter uns: Der Entzug des Sorgerechts von Yvonne Kerner war so oder so nur noch eine Frage der Zeit.“ Windmühlenflügel, überall. Was mich schwindelig machte, war nicht so sehr die Unbeweglichkeit des Behördenapparates, daran ist man ja gewöhnt. Nein, es war der hartnäckige Unwillen, einmal eingeleitete Schritte wieder rückgängig zu machen. Passiert ist passiert. Fertig.
Unterm Strich blieb nur eine Person, die an der Situation der Zwillinge noch etwas ändern konnte.
Etwa hundert Meter lang, zwanzig Meter breit, dreißig Meter hoch. So war mir die Turnhalle früher vorgekommen, in den Tagen, als ich hier den Kusselkopp übte, >Rolle vorwärts< für Nicht-Mülheimer. Seitdem war die Turnhalle auf das Format einer noch nicht mal allzu großzügig bemessenen Doppelgarage geschrumpft. Yves und Sean besuchten die Grundschule an der Voßbeckstraße, die in demselben alten Backsteinbau untergebracht war, in dem schon Scuzzi und ich mit der Welt der Bildung konfrontiert worden waren. Von der Turnhalle waren es nur ein Paar Schritte bis zum Büro des Schulleiters. Das Vorzimmer erwies sich als ein bisschen sehr eng, und die Dame, die es regierte, als ein ganz besonders kurz angebundenes Exemplar der Gattung Schnappschildkröte, deshalb zog ich es vor, die unausweichliche Wartefrist auf dem Gang zuzubringen.
Die Dimensionen des gesamten Schulgebäudes mochten sich geändert haben, doch was gleich geblieben war, unverwechselbar, war der Geruch. Süßlich, ledrig, mit einem starken Unterton von Banane. Ein Pausengong gongte, wo früher eine Klingel geschrillt hatte, Türen flogen auf, Kinder kreischten, und die Schnappschildkröte zeigte ein Einsehen und winkte mich hinein ins Büro des Schulleiters. Dr. Brettschneider war nicht besonders groß, doch er hielt sich kerzengerade, begrüßte mich mit Namen, beschenkte mich mit einem schmalen Lächeln, einem kräftigen Händedruck und einem geraden, vertrauenerweckenden Blick, in dem ich Bitte geben Sie mir Ihre Stimme lesen konnte. Dr. Kurt Brettschneider, muss man wissen, kandidierte für das Amt des Mülheimer Oberbürgermeisters.
„Wir werden Yves und Sean vermissen“, sagte er. „Aber Ende des Schuljahres hätten sie uns so oder so verlassen. Sie sollen aufs Gymnasium wechseln. Niemand im Kollegium, der das nicht befürworten würde.“ In seinem tadellosen, dezent gestreiften Anzug sah er eher aus wie ein Geschäftsführer als ein Pädagoge. „Aber bitte, nehmen Sie doch Platz.“ Tadelloser Anzug, tadellose Manieren. Ich setzte mich, während Dr. Brettschneider noch kurz ans
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