Rotzig & Rotzig
Coffeeshop im holländischen Sinne zu fungieren schien, wählte ich mich ein, scrollte zehn Jahre zurück und gab Yvonne Kerners Namen ein. Treffer. Gerade sechzehn geworden, schwanger, keinerlei Unterstützung aus dem familiären Umfeld, brauchte eine Bleibe und eine Entgiftung.
Dann blätterte ich mal durch, wer sich denn so alles zur selben Zeit für die vielfältigen Hilfsangebote interessiert hatte. Und war über den Namen einer Bekannten gestolpert. Barbara >Babs< Hornauer, mittlerweile die Gattin von Erich >Immo< Ohloff, dem reichsten Makler der Stadt.
„Jetzt komm“, sagte ich beschwichtigend. „Ihr habt zusammengewohnt, also tu nicht so, als ob du den Namen Yvonne Kerner noch nie gehört hättest.“ Dieselbe postalische Adresse, damals, wie aus den Akten hervorging, dieselbe Telefonnummer. Daraufhin hatte ich Babs angerufen und mich mit ihr unter dem etwas vagen Vorwand, ihre Hilfe zu brauchen, auf einem Parkplatz am Uhlenhorstweg verabredet. Sie kam in einem weißen Mercedes SL angerauscht, in dessen cremefarbenen Ledersitzen wir jetzt bei laufendem Motor hockten, während Struppi kacken ging und anschließend in hohen Bögen Laub durch die Gegend scharrte. „Ich will von diesen alten Geschichten nichts mehr hören, Kristof. Ich will davon nichts mehr wissen. Und es kotzt mich an, dass du versuchst, mich damit unter Druck zu setzen.“ Sie war immer noch schön, wenn auch etwas zu dünn und mit diesen tiefen, skeptischen Falten um den Mund, die man oft sieht bei Überlebenden aus Szene und Milieu.
„Ach, jetzt hör schon auf“, sagte ich. „Ich würde dich niemals unter Druck setzen, und das weißt du. Aber du schuldest mir was, Babs.“ Ich nahm ihre Rechte, hob sie ins Licht, und die Brillis funkelten. Meine Fotos waren es gewesen, die vor ein paar Jahren dafür gesorgt hatten, dass Erich >Immo< Ohloff eine supergünstige Scheidung bekam. Und dann hatte ich ihm auch noch die frisch therapierte Barbara >Babs< Hornauer als Kindermädchen vermittelt. Babs war mir bei der Drogenberatungsstelle über den Weg gelaufen, und eigentlich hatte ich gehofft, sie flachlegen zu können. Doch dann traf sie Erich, sah den Ring, und ich war abgemeldet.
„Also erzähl mir, was ich wissen will, und ich lass dich in Ruhe.“
„Es wird dir nichts nutzen“, sagte sie. „Uns hat damals keiner geglaubt, und dir wird heute auch niemand glauben.“
„Nun mach schon“, sagte ich und nahm mir eine ihrer Filterzigaretten.
„Du wühlst hier in meinen peinlichsten Erinnerungen, Kristof.“
„Und ich tue es aus rein sadistischem Vergnügen.“ Sie schnaubte genervt, steckte sich selber eine an, ließ ihr Seitenfenster runtersurren. Struppi hatte inzwischen schon mindestens zwanzig Bäume markiert.
„Yvonne und ich sind in dieselbe Klasse gegangen“, begann Babs. „Realschule“, sagte sie säuerlich. „Wir waren ähnlich drauf und zogen uns ähnlich an - T-Shirts mit Leopardenmuster und sooo 'nem Ausschnitt, dazu superkurze Röcke und dramatische Schminke, alles um die ganzen pickeligen Wichser an unserer Schule bekloppt zu machen, - und wurden so was wie beste Freundinnen.“ Babs biss auf einen angeklebten und mit Strass verzierten Daumennagel, blickte raus in den kahlen braunen Wald. „Sie stand auf Pillen, und allmählich kam ich auch auf den Geschmack. Im letzten Schuljahr ging's auf Klassenfahrt, nach Winterberg. Fanden wir beide voll öde, also haben wir uns, wo's nur ging, abgesetzt und zugedröhnt.“ Sie schnickte die Kippe raus, ließ das Fenster wieder hochsurren, fröstelte, drehte die Heizung höher. „Letzte Nacht vor der Heimfahrt werde ich wach, und Yvonne ist nicht in ihrem Bett. Ihr war vorm Einschlafen ein bisschen schlecht gewesen, also hab ich mir Sorgen gemacht und bin sie suchen gegangen.“ Babs schob sich die Sonnenbrille hoch ins Haar, drehte sich in ihrem Sitz nach hinten. An ihrer Vorliebe für tiefe Ausschnitte hatte auch die Ehe nichts geändert, fiel mir auf. Sie zog eine Umhängetasche vom Rücksitz nach vorn und wühlte darin herum, bis sie eine schmale Getränkedose fand, die sie mir hinhielt. Ich knackte den Verschluss und reichte die Dose zurück. Prosecco. Babs schloss die Finger mit den langen lila Nägeln um die Büchse und streifte sie kurz über ihre Wange wie etwas Tröstendes, bevor sie einen Schluck nahm. Dann sah sie mich an. „Er hatte sie ins Jungenklo gezerrt und runter auf den Fliesenboden gerissen, direkt neben der Pissrinne. Als ich reinkam, hielt er
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