Rotzig & Rotzig
nichts“, sagte er. „Wir machen die Aufnahmen aber trotzdem. Nur für den Fall, dass die es sich anders überlegen. Ist das die Narbe?“ Er zeigte auf meinen Bauch, und ich nickte. „Das Hämatom daneben hat aber nichts mit der Operation zu tun, oder? Wo haben Sie das her?“
„Billardqueue.“
Cervinho grunzte, positionierte mich vor einem Vorhang und lichtete meine Bauchdecke von allen Seiten ab. Dann musste ich noch eine Karteikarte ausfüllen und durfte endlich gehen. Und alles vergeblich.
Denn Angelo Mullers Aktenordner in meiner Aktentasche war leer.
Nachdenklich erklomm ich die Stufen. Nahm den Ordner raus, trennte mich von der Aktentasche und dem einfältigen Gehabe. Machte mein Kreuz gerade, die Schultern breit, schob Bauch und Kinn vor, gab meinem Blick die Autorität, die einem ein staatlicher Auftrag verleiht, und drückte die Tür zur Chirurgischen Abteilung auf. „Hufschmidt, Kriminalpolizei Mülheim an der Ruhr, Deutschland“, schnarrte ich die Stationsschwester an und ließ kurz meine aus einem Yps-Heft stammende Plastik-Dienstmarke aufblitzen. „Ich muss einen Doktor Niemann-Jura sprechen.“
Sie trug eine maskuline Hornbrille, durch deren Gläser sie mich kritisch musterte. „Professor Doktor“, korrigierte sie mich knapp. „Und er ist sehr beschäftigt. Wir bekommen jeden Moment einen Verkehrsunfall herein.“
„Es ist dienstlich“, sagte ich im festen Tonfall eines Mannes, der für gewöhnlich kriegt, was er will, und wenn nicht, wiederkommt.
Sie murmelte kurz etwas in den Hörer, sah dann wieder zu mir auf. „Zimmer 421, den Gang hinunter rechts. Und beeilen Sie sich!“
Ich marschierte zügig den Gang hinunter, klopfte einmal an Professor Doktor Niemann-Juras Tür und trat ein. Der Professor stand am offenen Fenster und rauchte. Als ich die Tür schloss, drehte er sich zu mir um und hob fragend eine Braue. Er sah erschöpft aus, irgendwie ganz menschlich. Mehr wie ein Pragmatiker als der Halbgott, den ich hinter dem Doppeltitel erwartet hatte.
„Hufschmidt, Kripo Mülheim. Wir haben mit richterlicher Genehmigung Einblick in eine Ihrer Patientenakten genommen. Oder es zumindest versucht.“ Ich klappte den leeren Ordner auf, warf ihn auf den Schreibtisch, blickte den Arzt herausfordernd an. Er schnickte seine Kippe raus, schloss das Fenster, trat an den Schreibtisch, studierte das Deckblatt des Ordners und sagte: „Hm.“
„Genau“, sagte ich. „Herr Professor, ich muss Sie bitten, mir Zugang zu der entsprechenden Datei auf Ihrem Rechner zu gewähren.“
„Mit welcher Begründung?“, fragte er. „Wir bearbeiten einen ähnlich gelagerten Fall in Deutschland. Mehr darf ich Ihnen dazu nicht sagen.“
„Verstehe“, meinte er nachdenklich, setzte sich an seinen Schreibtisch, zog sich die Tastatur heran und begann zu klickern.
Ein kurzes Aufwallen tiefer grundehrlicher professioneller Bewunderung meiner selbst fand ein jähes Ende, als der Professor „Ach, könnte ich bitte mal Ihre Genehmigung sehen?“ sagte.
„Aber natürlich.“ Ich griff entschlossen in die Innentasche meiner Jacke und stutzte. „Ah, verdammt. Ich habe sie diesem verschnarchten Perückenträger im Archiv zum Fotokopieren überlassen. Ich wette, er hat das Original im Kopierer vergessen. Doch wenn Sie ein paar Minuten Zeit haben ...“
„Nein, hab ich nicht“, sagte er, mit einem Blick auf seine Armbanduhr. „Aber es ist so oder so egal.“ Und er drehte den Bildschirm in meine Richtung. FILE DE-LETED stand da.
„Gelöscht“, sagte ich grimmig. „Und dafür bin ich extra nach Echternach gekommen.“
„Untersuchungsrichter Peelaert müsste noch einen Datensatz haben.“
„Der Untersuchungsrichter zeigt sich nicht besonders kooperativ“, behauptete ich aus dem Nichts heraus. „Ach, nein?“ Der Professor grinste schmal. „Überraschung.“
„Worauf wollen Sie hinaus?“
„Benjamin Peelaert zeigt sich nie besonders kooperativ.“
„Und wir von der deutschen Kripo können ihn nicht zur Zusammenarbeit zwingen“, sagte ich mürrisch. „Doch vielleicht fallen Ihnen ja aus dem Gedächtnis heraus ein paar Details zum Fall Angelo Muller ein. Das würde uns sicherlich schon weiterhelfen.“ Er sah mich müde an. „Sie sind sicher, dass Sie dafür eine Genehmigung haben?“
Mir schlug das Herz bis zum Hals. Ich setzte alles auf eine Karte: Zeit. „Herr Professor, wir unterbrechen dieses Gespräch hier. Die fehlende Legitimation ist eindeutig meine Schuld. Ich gehe jetzt runter
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