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Rotzig & Rotzig

Rotzig & Rotzig

Titel: Rotzig & Rotzig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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oder Selbstmordversuch, hieß es von offizieller Seite, und dass es keine Gründe gäbe, etwas anderes zu vermuten.“
    „Hast du jemals seine Krankenhausakte eingesehen?“ Sie nahm eine von meinen Zigaretten, griff sich unsere leeren Gläser.
    „Ich hab's versucht“, sagte sie an der Zigarette zwischen ihren Lippen vorbei, während sie Bier aus dem Hahn ins Glas schäumen ließ. „Doch das ist viel komplizierter, als man glaubt. Im Grunde müsste dazu mein Bruder den behandelnden Arzt von seiner Schweigepflicht entbinden. Da mein Bruder das aufgrund seiner Behinderung nicht kann, brauchte ich das Einverständnis des Sorgerechtsinhabers. Das war damals das Jugendamt Echternach. Die haben endlos gezögert. Mittlerweile haben die Reiffs das Sorgerecht. Und die vertreten die Ansicht, es mache wenig Sinn, in Angelos schmerzhafter Vergangenheit herumzustochern.“ Die Reiffs, die Reiffs, die Reiffs. Kam es mir nur so vor, oder spannen sie einen Kokon um jedes Kind, das sie bei sich aufnahmen?
    „Kristof.“ Leyla nahm meine Hand, und ich hob den Kopf. Hatte ich ihn auf der Theke abgelegt? Muss wohl. „Kristof, wirst du mir helfen, die Wahrheit herauszufinden?“
    „Klar doch“, sagte ich. „Gar kein Problem.“

TAG 10
    In der Frühschicht saß natürlich jemand anderes am Empfang als die kleine Dunkelhaarige von gestern Abend. Die Neue, größer, heller, rundlicher, hatte noch keine Begegnung mit Iwan Schostastochowitsch gehabt, und das war gut so. Ich fragte sie nach der Ausgabe für Patientenakten.
    „Sie haben die entsprechende Genehmigung? Ich muss Sie das fragen, weil wir Ärger mit dem Archiv bekommen, wenn wir Sie ohne runterschicken.“ Ich klopfte auf die Aktentasche, die ich im Lagerraum der Tankstelle gefunden und mitgebracht hatte. „Alles hier drin“, versicherte ich treuherzig. „Ausweis?“
    „Alles hier drin.“ Die einfältige Rolle liegt mir, die könnte ich den ganzen Tag spielen. „Dann müssen Sie in den Keller, zur Dokumentation. Raum null-eins-sieben.“
    „Oh, warten Sie, das schreibe ich mir lieber auf.“ Ich lieh mir einen Kuli und einen Notizblock mit Krankenhaus-Aufdruck und notierte Datum, Uhrzeit und die Nummer des Raumes, fügte noch Lichtbild Bauchdecke hinzu. Bedankte mich und nahm die Treppe nach unten. Eine Reihe Stühle stand auf dem Flur vor Raum null-eins-sieben, doch sie waren unbesetzt. Also klopfte ich und ließ mich ein, noch während eine mürrische Stimme „Ja?“ fragte.
    Der Leiter der Dokumentation sah ungesund aus, mit eingefallenen Wangen, trüben Augen und einem zerzausten Toupet, das in keiner Weise zum darunter hervorlugenden Resthaar passte. Ein Schild auf seinem Schreibtisch gab seinen Namen mit B. Cervinho an. „Siebling“, stellte ich mich vor. „Roland Siebling. Ich habe einen Termin.“ Ich reichte Cervinho den selbst geschriebenen Zettel über den Schreibtisch. Er studierte ihn, suchte dann seine Unterlagen ab. „Da weiß ich nichts von“, murrte er. „Es ist wegen dieser Narbe“, erklärte ich. „Ja, ja“, sagte er. „Aber ich habe hier keinen Auftrag dafür.“
    „Der Professor Doktor Niemann-Jura hat mich seinerzeit selbst operiert, doch seitdem hören die Beschwerden nicht auf. Wenn Sie möchten, zeige ich Ihnen mal die Röntgenaufnahmen.“ Ich kramte in meiner Aktentasche, und die kleine Sprühdose mit Türschloss-Enteiser, die ich vor Jahren mal gekauft habe und seither unbenutzt im Handschuhfach spazieren fahre, kullerte heraus und rollte unter den Schreibtisch. Sofort bückte ich mich danach.
    „Nein, nein“, sagte der Leiter der Dokumentation ungehalten. „Behalten Sie Ihre Aufnahmen für sich.“ Ich hustete, um das Knck zu übertönen, mit dem meine kleine Beißzange die dünne graue Leitung duchkniff, richtete mich stöhnend auf und hielt mir den Bauch. „Da haben Sie's“, sagte ich. „Wenn ich huste, tut's weh.“
    „Ja, ja. Niemann-Jura, sagen Sie?“ Er kratzte sich die nur allzu bewegliche Tolle, griff zum Telefonhörer, wählte, stutzte, versuchte es noch mal. „Ja, verdammt, hier funktioniert mal wieder gar nichts. Passen Sie auf“, sagte er und erhob sich. „Ich gehe jetzt an einen anderen Apparat und versuche das mit der Chirurgie zu klären. Sie machen sich inzwischen schon mal obenrum frei. Bis gleich.“
    Er ging aus dem Raum, und ich verschwand durch die andere Tür. Die mit der Aufschrift Aktenlager. Vier Minuten später war Cervinho zurück, ich halbnackt. „Die in der Chirurgie wissen von

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