Roulette der Liebe
schnellen Blick zu. »Die Eintragungen sind in spanisch. In einem seltsamen, altmodischen Spanisch. Es ist teuflisch schwer, die Texte zu verstehen.«
Reno hob neugierig den Kopf. Eve hatte mit ihren letzten Worten erreicht, daß seine Aufmerksamkeit von ihrem Körper abgelenkt wurde, und er sich nun voll auf ihre Erzählung konzentrierte.
»Du kannst die alten spanischen Handschriften lesen?« wollte er wissen.
»Don hat es mich gelehrt, bevor seine Sehkraft zu sehr nachließ, um die Worte entziffern zu können. Ich habe sie ihm vorgelesen, und er versuchte sich zu erinnern, was sein Vater und sein Großvater über jene Passagen gesagt hatten.«
»Familiengeschichten. Märchen. Kein Unterschied.«
Eve ignorierte seine Bemerkung. »Dann habe ich das, woran Don sich erinnern konnte, an den Rand geschrieben.«
»Konnte er nicht schreiben?«
»ln den letzten Jahren vor seinem Tod nicht mehr. Seine Hände waren zu sehr von der Gicht verkrüppelt.«
Unbewußt verschränkte Eve ihre eigenen Hände, während sie an die Schmerzen dachte, unter denen das alte Ehepaar bei kaltem Wetter gelitten hatte. Donnas Hände waren kaum besser als die ihres Mannes gewesen.
"Ich nehme an, sie haben zu viele Winter in Goldsuchercamps verbracht, wo es mehr Whisky als Feuerholz gab«, sagte sie heiser.
"In Ordnung, Eve Lyon. Sprich weiter.«
"Ich heiße nicht Lyon. Sie waren meine Brotgeber, nicht meine blutsverwandten.«
Reno war der veränderte Klang von Eves Stimme aufgefallen und die kaum merkliche Anspannung ihres Körpers. Er fragte sich, ob sie log.
»Brotgeber?« fragte er.
»Sie...« Eve blickte weg.
Er wartete schweigend.
»Sie haben mich vor fünf Jahren aus einem Waisenzug in Denver freigekauft«, sagte sie leise.
Als Reno den Mund öffnete, um eine beißende Bemerkung darüber zu machen, wie sinnlos es sei, mit rührenden Geschichten sein Herz erweichen zu wollen, ging ihm auf, daß Eve durchaus die Wahrheit sagen könnte. Die Lyons hätten sie tatsächlich aus einem Waisenzug gekauft haben können, als wäre sie eine Speckseite.
Es wäre nicht das erste Mal gewesen, daß so etwas passierte. Reno hatte schon viele solcher Geschichten gehört. Einige Waisen fanden ein gutes Zuhause. Die meisten jedoch nicht. Sie mußten harte Arbeit bei Farmern oder Stadtleuten verrichten, die nicht genug Geld besaßen, um eine Hilfskraft zu bezahlen, aber genügend zu essen hatten, um noch ein weiteres hungriges Maul zu stopfen.
Reno nickte bedächtig. »Ergibt einen Sinn. Ich wette, sie litten damals schon an Gicht.«
»Sie konnten kaum die Karten mischen, geschweige denn austeilen. Besonders Don nicht.«
»Waren sie Falschspieler?«
Eve schloß einen Moment die Augen, als sie daran zurückdachte, wieviel Scham und Angst sie empfunden hatte, als sie das erste Mal beim Betrügen erwischt worden war. Sie war vierzehn gewesen und so nervös, daß ihr die Karten beim Mischen aus der Hand geglitten und auf den Boden gefallen waren. Als einer der Männer die Karten aufhob, hatte er die leicht aufgerauhte Oberfläche bemerkt, die Könige, Asse und Damen markierte.
»Sie waren Glücksspieler«, antwortete sie tonlos.
»Betrüger.«
Sie zuckte zusammen. »Manchmal.«
»Wenn sie glaubten, sie kämen damit durch.« Reno machte sich nicht die Mühe, seine Verachtung zu verbergen.
»Nein«, erwiderte sie leise. »Nur, wenn sie es mußten. Meistens waren die übrigen Spieler zu betrunken, um zu bemerken, welche
Karten sie in der Hand hielten, geschweige denn, welche Karten ihnen der Geber zuteilte.«
»Das nette alte Ehepaar hat dir also beigebracht, wie man mit Karten manipuliert«, sagte Reno.
»Sie haben mir auch beigebracht, Spanisch zu sprechen und zu lesen, haben mich reiten gelehrt, kochen und nähen und...«
»Und betrügen«, fügte er hinzu. »Ich wette, sie haben dich auch noch eine Menge anderer Dinge gelehrt. Wieviel haben sie für ein paar Stunden mit dir berechnet?«
Nichts in Renos Stimme oder in seinem Gesichtsausdruck deutete auf die Wut hin, die in ihm kochte bei dem Gedanken, daß jeder Herumtreiber mit einer Handvoll Kleingeld und einem drängenden Bedürfnis zwischen den Schenkeln Eves wundervollen Körper hatte kaufen können.
»Was?« fragte sie verwirrt.
»Welchen Preis haben deine sogenannten Arbeitgeber einem Mann berechnet, damit er dir unter den Rock greifen durfte?«
Einen Augenblick lang war Eve zu fassungslos, um sprechen zu können. Ihre Hand fuhr so blitzschnell vor, daß nur wenige Männer
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