Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
Vom Netzwerk:
Venture wieder aufsuchte, an den ich trotz meiner Schwärmerei für ihn seit meiner Abreise nicht einmal gedacht hatte. Ich fand ihn in glänzender Lage und von ganz Annecy gefeiert; die Damen rissen sich um ihn. Dieser Erfolg verrückte mir vollends den Kopf; ich sah nichts als nur noch Venture und vergaß über ihn beinahe Frau von Warens. Um seiner Lehren keinen Augenblick verlustig zu gehen, machte ich ihm den Vorschlag, mich bei sich aufzunehmen; er willigte ein. Er wohnte bei einem Schuhmacher, einem lustigen und drolligen Kauze, der in seiner kräftigen Volkssprache seine Frau nicht anders als »Schlampe« nannte, ein Beiname, den sie auch so ziemlich verdiente. Er hatte mit ihr oft Zänkereien, die sich Venture zu verlängern bemühte, obgleich er sich anstellte, als wollte er den Streit schlichten. Er sagte ihnen in frostigem Tone und in seiner provençalischen Aussprache Worte, welche die größte Wirkung hervorbrachten; es waren Auftritte zum Todtlachen. Die Vormittage verstrichen auf diese Weise, ehe man es sich versah. Um zwei oder drei Uhr nahmen wir einen kleinen Imbiß, worauf er sich in Gesellschaft begab, in der er zu Abend speiste, während ich für mich allein lustwandelte, über seine großen Vorzüge nachsinnend, seine seltenen Talente bewundernd und mir ersehnend, und meinen Unstern verwünschend, der mich nicht zu einem so glücklichen Leben berief. Ach, wie schlecht verstand ich mich darauf! Das meinige wäre hundertmal reizender gewesen, wenn ich weniger einfältig gewesen wäre und es besser zu genießen verstanden hätte.
    Frau von Warens hatte nur Anet mit sich genommen. Sie hatte Merceret, ihr bereits erwähntes Kammermädchen, zurückgelassen, das ihr Haus noch immer bewohnte. Merceret war ein wenig älter als ich, nicht hübsch, aber ziemlich anmuthig, eine echte Freiburgerin ohne Falsch, an der ich keinen andern Fehler wahrgenommen habe, als daß sie mitunter etwas trotzig gegen ihre Herrin war. Ich besuchte sie ziemlich häufig; sie war ja eine alte Bekannte, und ihr Anblick erinnerte mich an eine andere, noch theurere, um deren willen ich auch sie lieb hatte. Sie hatte mehrere Freundinnen, unter andern auch ein Fräulein Giraud, eine Genferin, die zur Strafe für meine Sünden auf den Einfall kam, sich in mich zu verlieben. Sie bat Merceret unaufhörlich, mich bei ihr einzuführen. Aus Liebe zur Merceret und weil dort noch andere junge Personen waren, die ich gern sah, ließ ich mich hinbringen. Man kann sich keinen größeren Widerwillen denken, als ich gegen Fräulein Giraud empfand, die mir in jeder Weise entgegenkam. Wenn sie meinem Gesichte ihr dürres, vom Tabak schwarz besudeltes Maul näherte, konnte ich mich kaum enthalten hineinzuspeien. Aber ich zwang mich zur Geduld; dies abgerechnet, befand ich mich unter diesen Mädchen sehr wohl, und sei es um Fräulein Giraud einen Gefallen zu erweisen, sei es um meiner selbst willen, kurz alle machten mir um die Wette den Hof. Ich betrachtete dies alles nur als Freundschaft. Später habe ich gedacht, daß es nur an mir gelegen hätte, mehr darin zu erblicken; aber das kam mir nicht in den Sinn, ich dachte gar nicht daran.
    Ueberdies hatten Nähterinnen, Kammermädchen, Krämerinnen nichts Verführerisches für mich, nach hochgestellten jungen Damen stand mein Sinn. Jeder hat sein Gefallen, und das genannte ist stets das meinige gewesen; ich theile den Geschmack des Horaz [Fußnote: Conf. Horat. Sat. I. 2.] in diesem Punkte nicht. Was mich anzieht, ist jedoch keineswegs der nichtige Stand und Rang, sondern die besser gepflegte Gesichtsfarbe, die schöneren Hände, der geschmackvollere Putz, die über die ganze Person ausgebreitete Zierlichkeit und Sauberkeit, die anmuthigere Weise sich zu kleiden und auszudrücken; das feinere und besser sitzende Kleid, die niedlichere Fußbekleidung, die Bänder, die Spitzen, die besser geordneten Haare. Ich würde der weniger Hübschen, die von dem allen etwas mehr hätte, stets den Vorzug geben. Ich finde diese Vorliebe selbst höchst lächerlich, aber ich fühle mich einmal wider meinen Willen dazu getrieben.
    Nun wohl, diese Vorzüge zeigten sich mir noch einmal, und es hing nur von mir ab, daraus Gewinn zu ziehen. Welche Freude es mir macht, mich von Zeit zu Zeit in meine angenehmen Jugenderlebnisse zu versenken! Sie waren mir so süß; sie waren so flüchtig, so selten, und ich habe sie ohne große Mühe genossen! Ach, ihr bloses Andenken erfüllt mein Herz mit einer reinen Freude, deren ich

Weitere Kostenlose Bücher