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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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bin ich sicher, gesagt haben, wenn ich darauf bestanden hätte; aber nie war ein Mensch auf die Geheimnisse seiner Freunde weniger neugierig als ich. Mein Herz ist ausschließlich von der Gegenwart in Anspruch genommen und vollkommen von ihr erfüllt, und von den vergangenen Freuden, welche nun meine einzigen Genüsse sind, abgesehen, bleibt nicht ein Winkel desselben für das leer, was nicht mehr ist. Alles, was ich geglaubt habe nach ihren spärlichen Mittheilungen darüber annehmen zu dürfen, ist, daß sie besorgt war, bei der durch die Thronentsagung des Königs von Sardinien in Turin hervorgerufenen Revolution vergessen zu werden, und die Absicht hatte vermittelst der Intriguen des Herrn von Aubonne denselben Vortheil an dem französischen Hofe zu suchen, an welchem er ihr nach ihren wiederholentlichen Versicherungen am liebsten gewesen wäre, weil die dortige Menge großer Geschäfte eine lästige Ueberwachung nicht zuließe. Ist es so, dann ist es sehr wunderbar, daß man sie bei ihrer Rückkehr nicht scheeler angesehen und sie ihre Pension stets ohne Unterbrechung bezogen hat. Viele Leute standen in dem Wahne, sie hätte irgend einen geheimen Auftrag gehabt, sei es vom Bischofe, der damals Geschäfte am französischen Hofe hatte und selbst dahin zu reisen gezwungen war, sei es von einem noch mächtigeren Manne, der ihr eine vorteilhafte Rückkehr zu verschaffen wußte. So viel ist gewiß, daß dann die Gesandtin nicht übel gewählt gewesen wäre, und daß sie, jung und noch schön, alle Talente besaß, die nöthig sind, um eine Unterhandlung glücklich zu Ende zu führen.

Viertes Buch.
1731 – 1732
    Ich komme an und finde sie nicht mehr. Man stelle sich meine Ueberraschung und meinen Schmerz vor! Nun begann die Reue sich bei mir fühlbar zu machen, daß ich Herrn Le Maître so feig verlassen hatte. Sie wurde noch lebhafter, als ich das Unglück erfuhr, welches ihm zugestoßen war. Seine Kiste mit Noten, die sein ganzes Vermögen umfaßte, diese kostbare, mit so großer Anstrengung gerettete Kiste, war auf Verlangen des Grafen Dortan, welchen das Domcapitel von dieser heimlichen Entführung benachrichtigt hatte, bei ihrem Eintreffen in Lyon mit Beschlag belegt worden. Vergeblich hatte Le Maître sein Eigenthum, seinen Broterwerb, die Arbeit seines ganzen Lebens zurückverlangt. Das Eigenthumsrecht auf diese Kiste war wenigstens anfechtbar, aber ein Rechtsstreit fand gar nicht statt. Die Sache wurde auf der Stelle durch das Recht des Stärkeren erledigt, und der arme Le Maître verlor auf diese Weise die Frucht seiner Talente, die Arbeit seiner Jugend und die Hilfsmittel in seinen alten Tagen.
    Nichts fehlte dem Schlage, den ich erhielt, um ihn völlig niederschmetternd zu machen. Aber ich stand in einem Alter, in dem schwerer Kummer wenig Boden findet, und ich war bald um Trostgründe nicht verlegen. Obgleich ich die Adresse der Frau von Warens nicht kannte und ihr meine Rückkehr unbekannt war, rechnete ich doch darauf, binnen Kurzem Nachrichten von ihr zu bekommen, und was meinen Treubruch betraf, so fand ich ihn im Ganzen nicht so straffällig. Ich war Herrn Le Maître auf seiner Flucht nützlich gewesen; das war der einzige Dienst, den ich ihm zu leisten im Stande war. Wäre ich bei ihm in Frankreich geblieben, hätte ich ihn weder von seinem Leiden geheilt, noch seine Kiste gerettet, hätte nur seine Ausgaben verdoppelt, ohne ihm etwas nützen zu können. So sah ich damals die Sache an; jetzt erscheint sie mir in einem anderen Lichte. Nicht nach unmittelbarer Vollführung einer schändlichen That quält sie uns, sondern erst, wenn man sich ihrer lange nachher erinnert, denn die Erinnerung daran erlischt nicht.
    Um Nachrichten von Mama zu erhalten, war ich einzig und allein auf Warten angewiesen, denn wo hätte ich sie in Paris suchen und womit die Reise dorthin bestreiten sollen? Um früher oder später ihren Aufenthalt zu erfahren, war Annecy der geeignetste Ort. Ich blieb deshalb daselbst, aber ich führte mich sehr schlecht auf. Ich suchte den Bischof, der freundlich für mich gesorgt hatte und noch immer etwas für mich thun konnte, nicht auf. Meine Fürsprecherin war nicht mehr bei ihm, und ich fürchtete seine Vorwürfe über unsere Entweichung. Noch weniger ging ich nach dem Seminar; Herr Gros war nicht mehr dort. Ich besuchte keinen Bekannten. Der Frau Intendant hätte ich allerdings gern einen Besuch abgestattet, allein ich wagte es nie. Schlimmer aber als alles dies war, daß ich Herrn

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