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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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In der Stellung, die ich einnahm, lag darin fast eine Aufforderung, mich selbst davon zu überzeugen. Ich hatte nicht den Muth dazu, und während des ganzen Rittes leisteten ihr meine Arme nur den Dienst eines Gürtels, der zwar sehr enganschließend war, sich aber nicht einen Augenblick aus seiner Lage verschob. Manche Frau würde mich, wenn sie dieses liest, gern ohrfeigen, und hätte nicht Unrecht.
    Die Freude über den Spazierritt und das Geplauder der Mädchen regten meine Redelust dermaßen an, daß wir, bis zum Abende und so lange wir zusammen waren, unaufhörlich sprachen. Sie hatten mich in so gute Stimmung versetzt, daß meine Zunge eben so viel sagte wie meine Augen, obgleich sie nicht das Nämliche sagte. Nur einige Augenblicke, wenn ich mich mit der einen oder der andern unter vier Augen allein befand, machte sich in der Unterhaltung eine gewisse Verlegenheit geltend, aber die Abwesende kehrte sehr bald zurück und ließ uns nicht Zeit, uns über den Grund dieser Verlegenheit klar zu werden.
    Als wir in Toune angekommen und ich wieder vollkommen trocken war, frühstückten wir. Alsdann mußte zu der Bereitung des Mittagsessens, was eine gar wichtige Sache ist, übergegangen werden. Während des Kochens küßten die beiden Fräulein von Zeit zu Zeit die Kinder der Pächterin, und der arme Küchenjunge sah ihr Treiben mit an, seinen Aerger verbeißend. Man hatte Vorräthe aus der Stadt geschickt, und es war zu einem vorzüglichen Essen alles vorhanden, namentlich Leckereien, aber leider hatte man den Wein vergessen. Bei Mädchen, die ihn nicht tranken, war diese Vergeßlichkeit nicht zu verwundern, aber mir war sie unangenehm, denn ich hatte ein wenig darauf gerechnet, daß ich beim Glase mehr Muth bekommen würde. Sie waren darüber ebenfalls verdrießlich, vielleicht aus demselben Grunde, wenn ich es auch nicht glaube. Ihre lebhafte und reizende Heiterkeit war die Unschuld selbst, und was hätten sie überdies mit mir anfangen können, da sie zu zweien waren? Sie schickten überall nach Wein umher, aber man konnte keinen auftreiben, denn die Bauern dieses Cantons sind sehr mäßig und arm. Als sie mir ihren Aerger darüber aussprachen, sagte ich zu ihnen, sie sollten sich das nicht zu Herzen gehen lassen, sie brauchten keinen Wein, um mich trunken zu machen. Dies war die einzige Artigkeit, die ich ihnen im Laufe des Tages zu sagen wagte, aber ich glaube, die losen Mädchen sahen recht gut, daß es keine blose Redensart, sondern die volle Wahrheit war.
    Wir aßen in der Küche der Pächterin, die beiden Freundinnen auf Bänken an den beiden Seiten des langen Tisches sitzend und ihr Gast zwischen ihnen beiden auf einem dreibeinigen Schemel. Was für ein Mahl! Was für eine reizende Erinnerung! Weshalb will man, wenn man sich so reine und wahre Freuden so leicht verschaffen kann, noch andere suchen? Nie können sich die Abendessen in den sogenannten kleinen Häusern bei Paris mit diesem Mahle auch nur annähernd vergleichen, nicht nur nicht an Heiterkeit und aufrichtiger Freude, sondern ich behaupte sogar nicht einmal an sinnlicher Lust.
    Nach dem Essen zeigten wir unsere Kunst im Sparen: statt den Kaffee, der uns vom Frühstück übrig geblieben war, sofort zu trinken, sparten wir ihn für das Vesperbrot auf, bei dem es Rahm und Kuchen geben sollte, welchen die Damen mitgebracht hatten; und damit wir unsern Appetit in Athem erhielten, gingen wir in den Obstgarten, um unsern Nachtisch mit Kirschen zu beschließen. Ich stieg auf den Baum und warf ihnen ganze Büschel hinab, mit deren Kernen sie ein lebhaftes Feuer durch die Zweige hindurch auf mich eröffneten. Einmal stellte sich Fräulein Galley, ihre Schürze hinhaltend und den Kopf zurückwerfend, so reizend hin, und ich zielte so genau, daß ich einen Büschel gerade in ihren Busen hinein fallen ließ. Man kann sich das Gelächter vorstellen. Ich sagte mir: »Weshalb sind meine Lippen keine Kirschen! Mit welcher Lust würde ich sie da hinwerfen!«
    Auf diese Weise verging der Tag unter allerlei fröhlichen Scherzen, die trotz aller Ungezwungenheit doch nie gegen den Anstand verstießen. Nicht ein zweideutiges Wort, nicht ein gewagter Scherz, und diesen Anstand legten wir uns nicht etwa auf, nein, er kam ganz von selbst; wir folgten nur den Eingebungen unserer Herzen. Kurz, meine Bescheidenheit – andere werden sagen meine Dummheit – war so groß, daß die höchste Vertraulichkeit, die ich mir herausnahm, darin bestand, daß ich Fräulein Galley

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