Rousseau's Bekenntnisse
war klein und öde, ein Mensch mußte in ihr sofort auffallen. Von Zeit zu Zeit ging jemand vorüber und trat in ein benachbartes Haus oder es kam einer aus demselben heraus. Mein Dortsein machte mich verlegen; ich bildete mir ein, man müßte den Zweck meines Kommens errathen, und dieser Gedanke war mir peinlich, denn ich habe die Ehre und die Ruhe derer, die mir theuer waren, stets höher als mein Vergnügen gestellt.
Endlich müde, den spanischen Liebhaber zu spielen, zumal ich keine Guitarre hatte, entschloß ich mich an Fräulein von Graffenried zu schreiben. Ich hätte lieber an ihre Freundin geschrieben, wagte es jedoch nicht, und es ziemte sich auch, mich zuerst an die zu wenden, der ich die Bekanntschaft der andern verdankte, und mit der ich auf vertrauterem Fuße stand. Den Brief übergab ich Fräulein Giraud, wie ich es mit den jungen Damen bei unserer Trennung ausgemacht hatte. Sie selbst hatten mir diesen Ausweg angegeben. Fräulein Giraud war Stepperin und hatte, da sie bisweilen bei Frau Galley arbeitete, Zutritt zu ihrem Hause. Die Botin schien mir allerdings nicht allzu glücklich gewählt, allein ich befürchtete, man würde mir, wenn ich ihretwegen Schwierigkeiten erhöbe, keine andere vorschlagen. Auch konnte ich ihnen unmöglich zu verstehen geben, daß sie sich um meine Gunst bemühte. Ich fühlte mich durch den Gedanken gedemüthigt, daß sie mir zutrauen könnte, ich hielte sie und jene Damen für Wesen desselben Geschlechtes. Kurz, ich wollte mich lieber ihrer bedienen, als gar keinen Sendboten haben, und klammerte mich an dieses Auskunftsmittel auf gut Glück.
Beim ersten Wort errieth mich die Giraud; dies war nicht schwer. Wenn nicht die Bestellung eines Briefes an junge Mädchen für sich selbst gesprochen hätte, so würde mich schon meine alberne und verlegene Miene allein verrathen haben. Man kann sich vorstellen, daß ihr dieser Auftrag nicht sehr angenehm war; sie nahm ihn jedoch an und richtete ihn getreulich aus. Früh am folgenden Tage eilte ich zu ihr und fand meine Antwort. Wie schnell ich mich wieder fortmachte, um sie wieder und wieder zu lesen und mit meinen Küssen zu bedecken, bedarf nicht erst der Versicherung; wohl aber muß berichtet werden, welchen Entschluß Fräulein Giraud gefaßt hatte, einen Entschluß, in dem sich mehr Zartgefühl und Zurückhaltung aussprach, als ich ihr zugetraut hatte. Da sie verständig genug war, um einzusehen, daß sie mit ihren siebenunddreißig Jahren, ihren Hasenaugen, ihrer Schnupftabaksnase, ihrer kreischenden Stimme und ihrer schwarzen Haut zwei jungen anmuthigen Mädchen in dem vollen Glänze ihrer Schönheit gegenüber eine üble Rolle spielte, wollte sie dieselben weder verrathen noch ihnen dienen, und mich lieber verlieren, als mich jenen zuführen.
1732
Schon seit einiger Zeit beabsichtigte Merceret, die von ihrer Herrin noch nicht die geringste Nachricht erhalten hatte, nach Freiburg zurückzukehren; jetzt bewog Giraud sie, ihren Entschluß zur Ausführung zu bringen. Sie that mehr; sie überzeugte sie, daß es gut wäre, wenn jemand sie zu ihrem Vater zurückbrächte, und schlug mich dazu vor. Die kleine Merceret, der ich ebenfalls nicht mißfiel, fand diesen Gedanken sehr gut. Noch an dem nämlichen Tage sprachen beide mit mir davon wie von einer abgemachten Sache, und da ich in dieser Art, über mich zu verfügen, nichts Beleidigendes sah, so willigte ich ein, indem ich glaubte, daß diese Reise höchstens acht Tage in Anspruch nehmen könnte. Die Giraud, die darüber andere Gedanken hegte, richtete alles ein. Ich konnte den Zustand meiner Geldverhältnisse nicht verschweigen. Man trug Fürsorge, die Merceret übernahm die Deckung meiner Reisekosten, und um diesen Mehraufwand wieder einzubringen, wurde auf meine Bitte abgemacht, daß wir nach Voraussendung ihres geringen Gepäckes in kleinen Tagereisen zu Fuße gehen sollten. Und so geschah es.
Es ärgert mich zu erzählen, daß so viele Mädchen in mich verliebt waren; da ich aber auf den Gewinn, den mir alle diese Liebeshändel eingetragen haben, nicht sehr stolz sein kann, glaube ich unbedenklich die Wahrheit sagen zu dürfen. Jünger und weniger gewitzigt als die Giraud, ist mir die Merceret nie so herausfordernd entgegengekommen; aber sie ahmte mir im Tone und in der Aussprache nach, wiederholte meine Lieblingsredensarten, erwies mir Aufmerksamkeiten, die ich ihr hätte erweisen müssen, und trug, da sie sehr furchtsam war, stets große Sorge dafür, daß wir in
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