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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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stürmischen Folgen verbunden waren, sehr verständig. Sie hatte mich wirklich lieb; ich hätte sie ohne lange Bewerbung heirathen und das Geschäft ihres Vaters betreiben können; meine Neigung zur Musik hätte es mir lieb gemacht. Ich hätte mich dann in Freiburg niedergelassen, einer kleinen und nicht sehr hübschen Stadt, deren Bevölkerung sich aber durch Gutmüthigkeit auszeichnete. Manche Freuden wären mir zwar verloren gegangen, aber dafür würde ich bis zu meiner letzten Stunde in Frieden gelebt haben, und ich muß besser als irgend ein anderer wissen, daß ich um solchen Preis nicht hätte schwanken sollen.
    Ich kam zurück, nicht nach Nyon, sondern nach Lausanne. Ich wollte mich wieder satt sehen an dem Anblick dieses schönen Sees, den man dort in seiner größten Ausdehnung überschaut. Der größte Theil meiner Beweggründe, von denen ich mich im Geheimen habe leiten lassen, ist nicht besser gewesen. Viele Zielpunkte haben selten Kraft genug, mich zum Handeln anzutreiben. Bei der Ungewißheit der Zukunft sind mir weitaussehende Pläne stets wie Lockspeisen für Narren vorgekommen. Ich überlasse mich der Hoffnung wie jeder andere, sobald sie sich leicht unterhalten läßt; ist sie indessen mit langer Mühe verbunden, so will ich nichts mehr von ihr wissen. Das geringste kleine Vergnügen, das ich mir verschaffen kann, ist mir verlockender als die Freuden des Paradieses. Dabei nehme ich jedoch das Vergnügen aus, auf welches Schmerz folgt; dieses setzt mich deshalb nicht in Versuchung, weil ich nur reine Genüsse liebe, und weil man diese nie empfindet, wenn man weiß, daß man sich damit Reue bereitet.
    Es war durchaus nöthig, daß ich an irgend einem Orte, gleichgiltig an welchem, ankam, und der nächste war der beste, denn nachdem ich mich unterwegs verirrt hatte, befand ich mich des Abends in Moudon, wo ich das wenige Geld, das mir noch blieb, bis auf zehn Kreuzer, mit denen ich am folgenden Tage das Mittagsessen bestritt, ausgab. Als ich am Abend dieses Tages in einem kleinen Dorfe bei Lausanne anlangte, kehrte ich, ohne einen Sou zur Bezahlung meines Nachtlagers zu haben, und ohne zu wissen, was nun anfangen, in ein Wirthshaus ein. Ich hatte großen Hunger; ich verlor trotzdem nicht die Fassung und verlangte Abendbrot, als ob es mir an Geldmitteln nicht fehlte. Ich legte mich ohne schwere Sorgen nieder und schlief in aller Ruhe. Nachdem ich des Morgens gefrühstückt und mich mit dem Wirth berechnet, wollte ich ihm für die sieben Batzen, die ich zu zahlen hatte, meine Weste zum Pfande lassen. Der brave Mann lehnte sie ab und sagte zu mir, er hätte Gott sei Dank noch nie jemanden ausgezogen. Um sieben Batzen wollte er damit nicht anfangen, ich könnte meine Weste behalten und ihn bezahlen, sobald es mir möglich wäre. Ich wurde von seiner Güte gerührt, aber weniger, als ich es hätte werden sollen, und später auch wirklich geworden bin, so oft ich daran zurückdachte. Ich säumte nicht, ihm durch einen sicheren Mann sein Geld mit bestem Danke zuzuschicken; aber als ich fünfzehn Jahre später auf meiner Rückkehr aus Italien wieder durch Lausanne kam, that es mir aufrichtig leid, den Namen der Schenke und des Wirthes vergessen zu haben. Jedenfalls hätte ich ihn besucht; ich hätte ihn mit wahrer Freude an seine gute Handlung erinnert und ihm den Nachweis geliefert, daß sie nicht am unrechten Platze gewesen war. Ungleich wichtigere Dienste, die mir aber mit größerer Ostentation erwiesen wurden, sind mir nicht so dankenswerth erschienen, als die einfache und im Stillen geübte Menschenfreundlichkeit dieses redlichen Mannes.
    Als ich mich Lausanne näherte, versenkte ich mich in Grübeleien über die bedrängte Lage, in der ich mich befand, über die Mittel, mich ihr zu entreißen, ohne meiner Schwiegermutter meine Noth bemerkbar zu machen, und verglich mich auf dieser Wanderung mit meinem Freunde Venture bei seiner Ankunft in Annecy. Dieser Gedanke erfüllte mich so vollkommen, daß ich völlig außer Acht ließ, wie mir ja sein artiges Benehmen und seine Talente abgingen, und es mir deshalb in den Kopf setzte, in Lausanne den kleinen Venture zu spielen, in der Musik, von der ich nichts verstand, Unterricht zu ertheilen und mich für einen Pariser auszugeben, obgleich ich nie in Paris gewesen war. Da es dort keine Kapellmeisterei gab, in der ich ein Unterkommen hätte finden können, und ich mich überdies hütete, mich unter die Leute vom Handwerk zu drängen, begann ich die

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