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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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gleich groß war, geführt haben würde. Voll angeborener Abneigung gegen jeden Parteigeist hatte ich beiden Parteien mit allem Freimuthe harte Wahrheiten gesagt, die sie unbeachtet ließen. Ich griff zu einem andern Mittel, welches mir in meiner Einfalt bewunderungswürdig erschien; es bestand darin, durch Vernichtung ihrer Vorurtheile ihren gegenseitigen Haß zu besänftigen und jeder Partei das Verdienst und die Tugend der andern als der öffentlichen Achtung und der Ehrfurcht aller Sterblichen werth hinzustellen. Dieses ziemlich unvernünftige Vorhaben, das den Menschen Aufrichtigkeit zutraute und mich in den nämlichen Fehler stürzte, welchen ich dem Abbé von Saint-Pierre vorwarf, hatte den Erfolg, der sich voraussehen ließ: er näherte nicht die Parteien, sondern vereinigte sie nur zu meiner gemeinsamen Bekämpfung. Bis mich die Erfahrung zur Erkenntnis meiner Thorheit brachte, überließ ich mich ihr mit einer dem mich antreibenden Beweggrunde, wie ich wohl sagen darf, würdigen Begeisterung und schilderte Volmars und Juliens Charaktere mit einem Entzücken, das mich mit der Hoffnung erfüllte, sie beide liebenswürdig zu machen und zwar, was noch mehr ist, einen durch den andern.
    Zufrieden, meinen Plan mit kräftigen Umrissen skizzirt zu haben, beschäftigte ich mich von neuem mit den einzelnen Situationen, die ich bereits aufgezeichnet hatte, und aus der Zusammenstellung, die ich ihnen gab, entstanden die beiden ersten Abtheilungen der »Julie«, die ich während dieses Winters mit unaussprechlichem Vergnügen ausarbeitete und ins Reine schrieb, wobei ich das schönste Papier mit Goldschnitt, blauen und silberfarbigen Streusand und himmelblaue Bänder zum Heften benutzte, da ich, kurz gesagt, für die reizenden Mädchen, für die ich wie ein zweiter Pygmalion schwärmte, [Fußnote: Var.: für die ich trotz meines schon ergrauenden Haares schwärmte.] nichts fein, nichts zierlich genug fand. Alle Abende las ich Theresen und ihrer Mutter diese beiden Abtheilungen am Kaminfeuer wieder und wiederum vor. Die Tochter schluchzte, ohne etwas zu sagen, vor lauter Rührung mit mir; die Mutter blieb, da sie nichts Unterhaltendes darin fand und überhaupt nichts begriff, ruhig und begnügte sich damit, mir in den Ruhepausen unaufhörlich zu wiederholen: »Mein Herr, das ist sehr schön.«
    Beunruhigt, mich im Winter in einem einsam gelegenen Hause mitten im Walde allein zu wissen, ließ Frau von Epinay sehr häufig Nachricht von mir einholen. Nie bekam ich so aufrichtige Beweise ihrer Freundschaft für mich, und nie erwiderte die meinige sie mit größerer Innigkeit. Es wäre Unrecht von mir, unter diesen Freundschaftserweisungen nicht besonders hervorzuheben, daß sie mir ihr Bildnis übersandte und mich um Auskunft ersuchte, wie sie das meinige, welches Latour gemalt und das einen Platz in der Kunstausstellung gefunden hatte, erlangen könnte. Auch eine andere ihrer Aufmerksamkeiten darf ich nicht übergehen. So lächerlich sie auch erscheinen mag, wirft sie doch durch den Eindruck, den sie auf mich machte, ein helles Licht auf die Geschichte meiner Charakterentwickelung. Als ich an einem sehr kalten Tage ein Packet mit mehreren Gegenständen, die sie mir zu besorgen übernommen hatte, öffnete, fand ich darin einen kleinen Unterrock von englischem Flanell, den sie nach ihrer Mittheilung selbst getragen hatte und aus dem ich mir ein Unterjäckchen sollte machen lassen. Die Einkleidung ihres Billets war reizend, voller Zärtlichkeit und Naivetät. Diese mehr als freundschaftliche Fürsorge kam mir so zärtlich vor, als ob sie sich zu meiner Bekleidung selbst entblößt hätte, und in meiner Aufregung küßte ich deshalb Billet und Unterrock, Thränen vergießend, wohl zwanzigmal. Therese dachte, ich wäre närrisch geworden. Eigenthümlich ist es, daß mich von allen Freundschaftsbeweisen, mit denen mich Frau von Epinay überschüttete, keiner je in demselben Maße wie dieser gerührt hat, und daß ich selbst nach unserm Bruche seiner nie ohne Rührung gedacht habe. Lange habe ich ihr kleines Billet aufbewahrt und ich würde es noch haben, wenn es nicht das Schicksal meiner übrigen Briefe aus derselben Zeit gehabt hätte.
    [Fußnote: Nach den Aufzeichnungen in den Memoiren der Frau von Epinay lautet dieses Billet folgendermaßen ( tom. II , p. 347):

»Ich sende, lieber Einsiedler, den Damen Le Vasseur einige Vorräthe, und da ich mich eines neuen Boten bediene, will ich Ihnen die Gegenstände einzeln aufführen.

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