Rousseau's Bekenntnisse
Unterschied zu reden pflegte. Kurz, was die Reinheit und Aufrichtigkeit ihres vortrefflichen Charakters beweist, ist der Umstand, daß sie in ihrer außerordentlichen Zerstreutheit und bei ihren vielen lächerlichen Unbesonnenheiten sich wohl oft zu etwas hinreißen ließ, was ihr selbst höchst nachtheilig war, aber nie zu Dingen, die irgend jemand hätten kränken können.
Man hatte sie sehr jung und trotz ihres Widerspruches an den Grafen von Houdetot, einen Mann von hohem Range und militärischem Geiste, aber einen Spieler und Raufbold vermählt, der sehr wenig liebenswürdig war und den sie auch nie geliebt hat. Sie fand in Herrn von Saint-Lambert alle glänzende Seiten ihres Mannes im Vereine mit bestechenderen Eigenschaften, mit Geist, Tugenden und Talenten. Wenn an den Sitten des Jahrhunderts etwas verzeihlich erscheint, so ist es unzweifelhaft eine solche, durch ihre Dauer geläuterte und durch ihre guten Einflüsse heilsam wirkende Verbindung, die nur durch eine gegenseitige Achtung Festigkeit erhielt.
Sie kam, wie ich glaube, ein wenig aus eigenem Antriebe, hauptsächlich aber wohl Saint-Lambert zu Liebe. Er hatte sie darum ersucht und konnte mit Recht annehmen, daß die Freundschaft, die sich zwischen uns zu bilden begann, uns allen dreien diesen Umgang angenehm machen würde. Sie wußte, daß ich von ihrem Verhältnisse unterrichtet war, und da sie von ihm ohne Verlegenheit mit mir sprechen konnte, so war es natürlich, daß sie sich bei mir gefiel. Sie kam, ich sah sie; ich war liebestrunken ohne Gegenstand; diese Trunkenheit bezauberte meine Blicke, sie erkannten diesen Gegenstand in ihr. In Frau von Houdetot erblickte ich meine Julie und sah in ihr bald nichts mehr als Frau von Houdetot, aber mit allen Vollkommenheiten bekleidet, mit denen ich den Abgott meines Herzens geschmückt hatte. Um das Werk zu krönen, erzählte sie mir von Saint-Lambert mit der Glut einer zärtlich Liebenden. Ansteckende Macht der Liebe! Als ich sie anhörte, als ich mich an ihrer Seite gewahrte, überschlich mich ein eigenthümlich lieblicher Schauer, wie ich ihn noch nie an der Seite einer Frau empfunden hatte. Sie sprach und ich fühlte mich bewegt; ich glaubte nur von Theilnahme für ihre Gefühle ergriffen zu sein, als sich meiner ähnliche Gefühle bemächtigten; in langen Zügen trank ich die vergiftete Schale aus, von der ich bis jetzt nur die Süßigkeit empfand. Kurz, ohne daß ich und ohne daß sie es merkte, flößte sie mir dieselben Gefühle gegen sich ein, die sie für ihren Geliebten hegte. Ach, es war sehr spät, es war sehr grausam, für eine Frau, deren Herz einen andern liebte, in einer eben so heftigen wie unglücklichen Leidenschaft zu entbrennen!
Trotz der starken Gemüthsbewegungen, die ich an ihrer Seite empfunden, wurde ich mir anfangs nicht darüber klar, was mit mir vorgegangen war; erst als ich nach ihrer Entfernung an Julie denken wollte, fiel es mir auf, daß ich nur noch an Frau von Houdetot denken konnte. Nun gingen mir die Augen auf; ich fühlte mein Unglück, ich beseufzte es, sah aber die Folgen nicht voraus.
Lange war ich über die Art meines künftigen Benehmens ihr gegenüber unschlüssig, als ob die wahrhafte Liebe dem Menschen Vernunft genug ließe, um solchen Vorsätzen nachleben zu können. Ich war noch zu keinem Entschlusse gekommen, als sie abermals erschien und mich unversehens überraschte. Diesmal war ich vorbereitet. Die Scham, die Gefährtin des Uebels, machte mich ihr gegenüber stumm und verlegen; ich wagte weder den Mund zu öffnen noch die Augen aufzuschlagen; ich befand mich in einer unbeschreiblichen Verwirrung, welche ihr auffallen mußte. Ich entschloß mich, sie ihr einzugestehen und sie die Ursache ahnen zu lassen: das hieß, sie ihr deutlich genug angeben.
Wäre ich jung und liebenswürdig gewesen, und hätte sich Frau von Houdetot in der Folge schwach gezeigt, so würde ich hier ihre Aufführung tadeln; allein dies war nicht der Fall, ich kann dieselbe nur anerkennen und bewundern. Der Entschluß, den sie faßte, verrieth sowohl Edelmuth wie Klugheit. Sie konnte sich nicht plötzlich von mir zurückziehen, ohne Saint-Lambert, der sie selbst zu Besuchen bei mir aufgefordert hatte, den Grund mitzutheilen; das hätte geheißen zwei Freunde einem Bruche und vielleicht einem Aufsehen erregenden Streite aussetzen, was sie vermeiden wollte. Sie achtete mich und wollte mir wohl. Sie hatte Mitleid mit meiner Thorheit; ohne ihr zu schmeicheln, bedauerte sie sie und
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