Rousseau's Bekenntnisse
überhäufte, dessen Kinder Therese kleidete und dessen auf den Bettel angewiesenen Vater ich fast allein nährte, plünderte uns eben so wohlgemuth wie frech aus, da keiner von uns dreien wachsam genug war, dem Unfuge zu wehren, und in einer Nacht gelang es ihm meinen Keller so vollkommen zu leeren, daß ich am folgenden Morgen auch nichts mehr in ihm vorfand. So lange er es nur auf mich abgesehen zu haben schien, ertrug ich alles; aber da ich beabsichtigte, über das Obst Rechenschaft abzulegen, war ich genöthigt, den Dieb desselben zur Anzeige zu bringen. Frau von Epinay ersuchte mich, ihn auszubezahlen, zu entlassen und einen andern anzunehmen, was ich sogleich that. Da der baumlange Schuft alle Nächte um die Eremitage herumschlich, mit einem dicken, mit Eisen beschlagenen Stocke bewaffnet, der schon eher einer Keule glich, und in Begleitung ähnlicher Schelme, so ließ ich zu Theresens und ihrer Mutter Beruhigung, die schreckliche Angst vor diesem Menschen hatten, seinen Nachfolger jede Nacht auf der Eremitage schlafen, und da sie dies noch nicht beruhigte, ließ ich Frau von Epinay um ein Gewehr bitten. Ich stellte es in das Zimmer des Gärtners und trug letzterem auf, sich seiner nur im Nothfalle zu bedienen, wenn man die Thüre mit Gewalt zu erbrechen oder in den Garten einzusteigen versuchte, und nur mit Pulver zu schießen, lediglich um die Diebe zu schrecken. Dies war gewiß die allergeringste Vorsichtsmaßregel, die zur allgemeinen Sicherheit ein allen Frechheiten ausgesetzter Mann, der den Winter allein mit zwei furchtsamen Frauen mitten im Walde zubringen mußte, ergreifen konnte. Endlich kaufte ich noch einen kleinen Hund, der als Wächter dienen sollte. Da mich Deleyre in dieser Zeit besuchte, erzählte ich ihm diesen Vorfall und lachte mit ihm über meine soldatische Ausrüstung. Nach Paris zurückgekehrt, wollte er seinerseits Diderot damit erheitern, und dadurch erfuhr die Holbachsche Sippschaft, daß ich im Ernste den Winter auf der Eremitage zubringen wollte. Diese Ausdauer, die sie sich nicht hatten einbilden können, brachte sie völlig aus der Fassung, und bis sie sich, um mir den dortigen Aufenthalt unangenehm zu machen, [Fußnote: In diesem Augenblicke bewundere ich meine Dummheit, beim Schreiben dieser Zeilen nicht eingesehen zu haben, daß sie mein Scheiden von Paris und mein Weilen auf dem Lande hauptsächlich nur deshalb so ärgerte, weil sie Mutter Le Vasseur nicht mehr unter der Hand hatten, um sich zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten von ihr bei ihren schändlichen Plänen Anleitung geben zu lassen. Dieser Gedanke, der so spät in mir aufsteigt, setzt die Wunderlichkeit ihres Benehmens, das bei jeder andern Voraussetzung unerklärlich ist, erst in ein vollkommen helles Licht.] eine andere Verdrießlichkeit ausgedacht hatten, hetzten sie durch Diderot denselben Deleyre gegen mich auf, der, während er anfangs meine Vorsichtsmaßregeln ganz natürlich gefunden hatte, zuletzt die Entdeckung machte, daß sie meinen Grundsätzen zuwider liefen und schlimmer als lächerlich wären. Er that dies in Briefen voll bitterer Witzeleien, die anzüglich genug waren, um mich zu beleidigen, wenn ich mich in der erforderlichen Stimmung befunden hätte. Allein damals von liebevollen und zärtlichen Gefühlen durchdrungen und für kein anderes empfänglich, gaben mir seine bitteren Sarkasmen nur Stoff zum Lachen, und während ihn jeder andere anmaßend gefunden hätte, fand ich ihn nur scherzhaft. [Fußnote: Var ... scherzhaft. So war diesmal die Mühe seiner Aufhetzer vergebens und ich brachte meinen Winter deshalb nicht weniger ruhig zu.
(Diese Anmerkung befindet sich in keiner Ausgabe vor dem Jahre 1801. Es ist leicht einzusehen, daß dieser Gedanke in Rousseau erst aufstieg, als sein zweites Manuscript nicht mehr in seinem Besitz war, weshalb er ihn in das erste aufnahm, welches noch in seinen Händen geblieben war.)]
Durch Wachsamkeit und Eifer brachte ich es dahin, den Garten so gut zu hüten, daß die Obsternte den dreifachen Ertrag des vorigen Jahres gab, obgleich sie in diesem Jahre sehr spärlich ausgefallen war. Ich strengte mich auch wirklich an, das Obst zu bewachen, und ließ es mir nicht nehmen, selbst die Sendungen, die ich nach der Chevrette und nach Epinay machte, zu begleiten und sogar Körbe zu tragen; ich entsinne mich, daß wir, Tante und ich, einen so schweren trugen, daß wir, kaum noch im Stande die Last zu schleppen, gezwungen waren, uns alle zehn Schritt
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