Rousseau's Bekenntnisse
zu machen. Mein erstes Auftreten in Paris; die Probe, auf die ich sowohl bei Herrn von Dupin wie bei Herrn von Poplinière wiederholentlich gestellt war; die Menge meiner Composttionen, die ich während vierzehn Jahre inmitten der berühmtesten Künstler und unter ihren Augen angefertigt hatte; endlich die Opern, »Die galanten Musen« und »Der Dorfwahrsager«; eine Motette, die ich für Fräulein Fel gearbeitet und die sie im geistlichen Concerte gesungen hatte; so viele Besprechungen, die ich über diese schöne Kunst mit den größten Meistern gehabt hatte: kurz alles schien einen solchen Zweifel verhüten oder zerstreuen zu müssen. Er bestand indessen, sogar auf der Chevrette, und ich bemerkte, daß Herr von Epinay nicht frei davon war. Ohne zu thun, als ob ich es wahrnähme, übernahm ich es, ihm für die Einweihung seiner Schloßkapelle eine Motette zu componiren und bat ihn, mir den Text dazu nach seiner eigenen Auswahl zu besorgen. Er beauftragte Herrn von Linant, den Lehrer seines Sohnes, sie zu dichten. Dieser schrieb einen für den Zweck passenden Text, und acht Tage, nachdem er mir übergeben worden war, war die Motette vollendet. Diesmal war der Aerger mein Apollo, und nie ist gediegenere Musik aus meinen Händen hervorgegangen. Der Text beginnt mit den Worten: Ecce sedes hic Tonantis . [Fußnote: Später habe ich erfahren, daß diese Worte von Santeul herrühren, und sie sich Herr von Linant ganz ruhig angeeignet hat.] Der großartige Anfang entsprach diesen Worten, und die ganze Durchführung der Motette ist von einer Schönheit der Gesangspartien, die alle ergriff. Meine Arbeit verlangte ein großes Orchester; Herr von Epinay versammelte die mit Symphoniemusik vertrautesten Künstler. Frau Bruna, eine italienische Sängerin, sang die Motette und wurde gut begleitet. Die Motette hatte einen so großen Erfolg, daß man sie später im geistlichen Concert gegeben hat, wo sie ungeachtet der heimlichen Cabalen und der unwürdigen Aufführung zweimal den gleichen Beifall fand. Für den Namenstag des Herrn von Epinay gab ich die Idee zu einer Art von Stück an, das, halb Drama, halb Pantomime, Frau von Epinay verfaßte und zu dem ich gleichfalls die Musik lieferte. Bei seiner Ankunft vernahm Grimm von meinen musikalischen Erfolgen. Eine Stunde später sprach man nicht mehr von ihnen, aber wenigstens zog man meines Wissens meine Kenntnis der Compositionslehre nicht mehr in Zweifel.
Kaum war Grimm auf der Chevrette, wo es mir schon nicht allzu sehr behagte, als er mir durch ein Benehmen, wie ich es sonst nie bei jemandem sah und von dem ich nicht einmal eine Vorstellung hatte, den dortigen Aufenthalt vollends unerträglich machte. Am Abend vorher mußte ich das schöne Zimmer, das ich bis dahin einnahm und welches an das der Frau von Epinay stieß, räumen; man richtete es für Grimm ein und wies mir ein entlegeneres an. »So verdrängt,« sagte ich lachend zu Frau von Epinay, »das Neue stets das Alte.« Sie schien verlegen. Den Grund dazu verstand ich noch an demselben Abend besser, indem ich erfuhr, daß zwischen ihrem Zimmer und dem, welches ich verlassen, eine geheime Verbindungsthür wäre, die sie mir zu zeigen für unnütz gehalten hatte. Ihr Verhältnis zu Grimm war niemandem, weder in ihrem Hause, noch im Publikum, ja nicht einmal ihrem Manne unbekannt; statt es mir jedoch, dem in Geheimnisse Eingeweihten, die ihr weit wichtiger sein mußten und deren Verschweigung sie bei mir sicher war, einzugestehen, verwahrte sie sich dagegen stets sehr heftig. Ich begriff, daß an dieser Zurückhaltung Grimm Schuld hatte, der zwar alle meine Geheimnisse wußte, aber nicht wünschte, daß mir auch nur eines der seinigen bekannt würde. Welch eine große Voreingenommenheit mir auch meine alten Gefühle, die noch nicht erloschen waren, und die wirklich hohe Begabung dieses Mannes für ihn einflößten, so konnte sie doch bei der Mühe, die er sich fort und fort gab, sie zu vernichten, nicht bestehen bleiben. Sein erstes Auftreten glich dem des Grafen von Tussiére; er würdigte mich kaum eines Grußes; er richtete nicht ein einziges Mal das Wort an mich und gewöhnte es mir bald ab, es an ihn zu richten, indem er nie eine Silbe erwiderte. Ueberall beanspruchte er den Vortritt, überall nahm er den ersten Platz ein, ohne mir je eine Beachtung zu schenken. Das hätte ich ihm verziehen, wenn er nicht eine beleidigende Absichtlichkeit hätte hervorblicken lassen. Aus einem einzigen Zuge unter tausenden kann man sich
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