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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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eine Vorstellung davon machen. Als sich Frau von Epinay eines Abends etwas unwohl befand, befahl sie ihr das Essen auf ihr Zimmer zu bringen und begab sich in dasselbe hinauf, um in einer Ecke ihres Kamins zu speisen. Sie forderte mich auf, sie zu begleiten; ich that es. Grimm kam nach. Der kleine Tisch war bereits gedeckt; es waren nur zwei Couverts aufgestellt. Man trägt auf: Frau von Epinay setzt sich in die eine Ecke des Kamins an das Feuer. Herr Grimm nimmt einen Stuhl, läßt sich in der andern Ecke nieder, zieht das Tischchen zwischen sie beide, breitet seine Serviette auseinander und schickt sich zu essen an, ohne ein einziges Wort zu sagen. Frau von Epinay erröthet und bietet mir, um ihn zu zwingen, seine Grobheit wieder gut zu machen, ihren eigenen Platz an. Er sagte nichts, blickte mich nicht einmal an. Da ich nicht bis zum Feuer gelangen konnte, blieb mir nichts anderes übrig als im Zimmer auf und nieder zu gehen, bis man mir ein Couvert brachte. Er gestattete mir jedoch gnädigst am Ende des Tisches, fern vom Feuer, mein Abendbrot einnehmen zu dürfen, ohne gegen mich den geringsten Anstand zu zeigen, gegen mich, Kränklichen, den Aelteren, der nicht allein ein älterer Freund des Hauses war, sondern ihn auch erst in dasselbe eingeführt hatte, gegen den er überdies als der Geliebte der Hausfrau den freundlichen Wirth hätte spielen müssen. Diesem Pröbchen entsprach sein Betragen gegen mich fortwährend. Er behandelte mich nicht etwa wie seinen Untergebenen, nein, er betrachtete mich als reine Null. Ich hatte Mühe, in ihm den früheren steifen Pedanten wieder zu erkennen, der sich bei dem Prinzen von Sachsen-Gotha durch meine Blicke geehrt fühlte. Noch mehr Mühe machte es mir, dieses tiefe Schweigen und diesen beleidigenden Hochmuth mit der zärtlichen Freundschaft für mich zu vereinigen, deren er sich denen gegenüber rühmte, von denen er wußte, daß sie mir freundschaftlich ergeben waren. Allerdings bezeugte er sie nur, um meine Bedrängnis zu beklagen, über die ich selbst nie klagte, um sein Mitleid über mein trauriges Loos auszusprechen, mit dem ich völlig zufrieden war, und sich bitter darüber zu beschweren, daß ich barsch alle seine wohlthätige Fürsorge zurückwiese, die er mir nach seiner Behauptung erweisen wollte. Durch diesen Kunstgriff brachte er es dahin, daß seine zärtliche Großmuth bewundert und meine undankbare Menschenfeindlichkeit getadelt wurde, und er nach und nach alle Welt daran gewöhnte, zwischen einem Beschützer wie er und einem Unglücklichen wie ich nur ein Verhältnis von Wohlthaten auf der einen Seite und von Verpflichtungen auf der andern anzunehmen, ohne auch nur die Möglichkeit zuzulassen, daß eine Freundschaft zwischen Gleich und Gleich stattfinden könnte. Ich für meine Person habe vergeblich herauszubekommen gesucht, in welcher Beziehung ich diesem jungen Streber verpflichtet sein könnte. Ich hatte ihm Geld geliehen; er lieh mir nie; ich hatte ihn in seiner Krankheit gepflegt, während der meinigen ließ er sich kaum bei mir sehen; alle meine Freunde waren durch mich die seinigen geworden, keiner der seinigen durch ihn der meinige; ich hatte aus allen Kräften sein Lob verbreitet, er dagegen, wenn er mich überhaupt gelobt hat, so that er es weniger öffentlich und in einer andren Weise. Nie hat er mir irgend einen Dienst erwiesen oder auch nur angeboten. Inwiefern war er also mein Mäcenas? Inwiefern war ich sein Schützling? Das ging über meinen Verstand und geht noch heute darüber.
    Allerdings war er gegen alle Welt mehr oder weniger anmaßend, aber gegen niemand betrug er sich so ungeschliffen wie gegen mich. Ich entsinne mich, daß ihm Saint-Lambert einmal fast seinen Teller an den Kopf geworfen hätte, weil ihn derselbe an offener Tafel förmlich Lügen strafte und ganz grob sagte: »Das ist nicht wahr.« Zu seinem schon von Natur scharfen Tone fügte er noch die Ueberhebung des Emporkömmlings und durch seine ewige Unverschämtheit wurde er sogar lächerlich. Der Umgang mit den Großen hatte ihn so weit verleitet, daß er selbst die Manieren annahm, die man nur an den weniger Vernünftigen unter ihnen wahrnimmt. Er rief seinen Diener nur mit der Partikel »Eh«, als ob der erlauchte Herr bei der großen Zahl seiner Leute nicht gewußt, wer gerade den Dienst hätte. Wenn er ihm Aufträge gab, warf er das Geld auf die Erde, statt es ihm in die Hand zu geben. Kurz er behandelte ihn, als ob derselbe gar kein Mensch wäre, mit einer so

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