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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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[Fußnote: Ich habe letzterem später den Beinamen »Gaukler« erst lange nach seiner erklärten Feindschaft und den blutigen Verfolgungen, die er in Genf und anderswo gegen mich erregt hatte, beigelegt. Ich habe diesen Namen sogar bald wieder zurückgenommen, als ich mich völlig als sein Opfer erblickte. Niedrige Rache ist meines Herzens unwürdig, und der Haß faßt in ihm nie festen Fuß.] zugefügt hätte, angeben zu können, und deren Wuth wie die der Tiger durch die Leichtigkeit ihrer Befriedigung von Tage zu Tage wächst.
    Ich erwartete, daß mich Grimm, von meiner Nachgiebigkeit und meinem Entgegenkommen beschämt, mit offenen Armen, mit zärtlichster Freundschaft empfangen würde. Er empfing mich wie ein römischer Kaiser mit einem Dünkel, wie ich ihn nie bei jemandem gesehen hatte. Auf eine solche Aufnahme war ich keineswegs vorbereitet. Als ich in der Verlegenheit über eine für mich so wenig geschaffene Rolle auf den Gegenstand, der mich zu ihm führte, mit wenigen Worten und schüchterner Miene gekommen war, hielt er mir, bevor er mich wieder in Gnaden aufnahm, mit vieler Majestät eine lange Rede, auf die er sich vorbereitet hatte und in der er sich in ausführlicher Aufzählung über seine seltenen Tugenden und vor allem in der Freundschaft verbreitete. Er hob dabei lange einen Umstand hervor, der mir anfangs sehr auffiel, nämlich daß man stets sehen würde, wie er sich dieselben Freunde bewahre. Während er sprach, sagte ich mir ganz leise, daß es für mich sehr schmerzlich sein müßte, von dieser Regel die einzige Ausnahme zu bilden. Er kam so oft und mit so großer Absichtlichkeit darauf zurück, daß der Gedanke in mir aufstieg, er würde, wenn er hierin nur dem Gefühle seines Herzens folgte, auf diesen Grundsatz weniger Gewicht legen, und schiene es als einen Kunstgriff anzuwenden, um sie als Mittel zu seinem Zwecke, sich emporzuschwingen, zu benutzen. Bisher war ich im gleichen Falle gewesen, ich hatte mir stets meine sämmtlichen Freunde bewahrt; seit meiner zartesten Kindheit hatte ich, wenn nicht etwa durch den Tod, keinen einzigen verloren, und gleichwohl hatte ich nie Betrachtungen darüber angestellt; ich hatte mir eben keinen Grundsatz daraus gemacht. Da es ein uns beiden gemeinsamer Ruhm war, weshalb bildete er sich ganz besonders etwas darauf ein, wenn nicht, weil er schon im voraus daran dachte, ihn mir zu rauben? Hierauf ließ er es sich angelegen sein, mich durch die Beweise der Bevorzugung zu demüthigen, die ihm unsere gemeinsamen Freunde vor mir an den Tag legten. Diese Bevorzugung kannte ich eben so wohl wie er; es fragte sich nur, mit welchem Rechte er sie erlangt hatte, ob wegen seines Verdienstes oder wegen seiner Geschicklichkeit in seiner Selbstverherrlichung und in seinem Trachten nach meiner Erniedrigung. Als er nun in so huldvoller Weise die ganze Kluft zwischen ihm und mir ausgemalt hatte, die der Gnade, die er mir zu erweisen geruhen wollte, erst den vollen Werth verleihen konnte, bewilligte er mir endlich den Friedenskuß in einer leichten Umarmung, die dem Ritterschlage glich, welchen der König den neuen Rittern ertheilt. Ich fiel aus den Wolken, ich war vor Erstaunen ganz fort, ich wußte nicht, was ich sagen sollte, ich fand nicht ein Wort. Der ganze Auftritt hatte das Aussehen eines Verweises, welchen ein Lehrer seinem Schüler ertheilt, wenn er ihm die Ruthe schenken will. Ich denke nie daran, ohne mir dessen bewußt zu sein, wie trügerisch doch die sich auf den äußern Schein gründenden Urtheile sind, auf die der gemeine Mann so großen Werth legt, und wie oft sich Dreistigkeit und Stolz auf Seiten des Schuldigen, Scham und Verlegenheit aber auf Seiten des Unschuldigen findet.
    Wir waren wieder versöhnt; dies war immer ein Trost für mein Herz, das jeder Streit in tödtliche Angst versetzt. Man sagt sich wohl selbst, daß eine solche Versöhnung sein Betragen nicht veränderte; er nahm mir lediglich das Recht, mich zu beklagen. Auch entschloß ich mich, alles zu erdulden und nichts mehr zu sagen.
    So viel Verdrießlichkeiten Schlag auf Schlag versenkten mich in eine Erschlaffung, die mir nicht die Kraft ließ, die Herrschaft über mich selbst wieder zu gewinnen. Ohne Antwort von Saint-Lambert, vernachlässigt von Frau von Houdetot, begann ich, da ich mich niemandem anzuvertrauen wagte, zu fürchten, daß ich durch Erhebung der Freundschaft zu dem Abgotte meines Herzens mein Leben damit vergeudet hätte, einem Trugbilde nachzujagen. Wenn ich die Probe

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