Rousseau's Bekenntnisse
Freundschaft gewesen sei.
Diese vorgebliche Freundschaft war mir innerhalb des Hauses eben so verderblich wie außerhalb desselben. Die langen und zahlreichen Unterredungen mit Frau Le Vasseur hatten diese Frau seit mehreren Jahren merklich gegen mich verändert, und diese Veränderung war mir sicherlich nicht günstig. Was besprachen sie denn bei diesen sonderbaren Zusammenkünften? Weshalb dieses tiefe Geheimnis? War denn die Unterhaltung mit dieser alten Frau so angenehm, um jede Gelegenheit dazu wahrzunehmen, und so wichtig, um sie in ein so tiefes Geheimnis zu hüllen? Während der drei oder vier Jahre, daß diese Zwiegespräche dauerten, waren sie mir lächerlich vorgekommen; als ich jetzt wieder ihrer gedachte, fing ich mich darüber zu wundern an. Dieses Wundern wäre bis zur Unruhe gestiegen, hätte ich schon damals gewußt, welche Veranstaltungen diese Frau gegen mich traf.
Trotz des vergeblichen Eifers für mich, mit dem sich Grimm nach außen hin brüstete, und der sich mit dem Tone, den er mir gegenüber annahm, schwer vereinigen ließ, kam mir von keiner Seite etwas von ihm zu, das mir zum Vortheil gereicht hätte, und seine heuchlerische Theilnahme für mich hatte weit weniger den Zweck, mir zu dienen, als mich zu erniedrigen. So weit es in seiner Macht lag, nahm er mir sogar die Einnahmen aus dem Geschäfte, das ich mir gewählt hatte, indem er mich als schlechten Abschreiber ausschrie; allerdings sagte er darin die Wahrheit, aber es war nicht seine Sache, sie zu sagen. Dadurch daß er sich eines andern Abschreibers bediente und mir keinen Kunden ließ, den er mir abspenstig machen konnte, bewies er, daß es ihm nicht Scherz war. Man hätte meinen sollen, sein Plan wäre gewesen, mich von ihm und seinem Credit zu meinem Unterhalte abhängig zu machen und mir, bis ich so weit herabgekommen wäre, die Quellen desselben abzuschneiden.
Alles dies zusammengenommen brachte endlich meine Vernunft dahin, meiner alten Voreingenommenheit, die noch immer sprach, Schweigen zu gebieten. Ich hielt seinen Charakter wenigstens für sehr verdächtig und was seine Freundschaft anlangte, so war sie meines Erachtens falsch. In Folge dessen entschlossen, ihn nicht mehr zu sehen, setzte ich Frau von Epinay von dieser Absicht in Kenntnis, indem ich meinen Entschluß auf mehrere unwiderlegliche Thatsachen gründete, die ich jetzt jedoch vergessen habe.
Sie bekämpfte diesen Entschluß heftig, ohne gegen die Gründe, auf welche er sich stützte, etwas Bestimmtes anführen zu können. Sie hatte sich mit ihm noch nicht besprochen; am nächsten Tage überreichte sie mir aber, anstatt sich mündlich mir gegenüber zu erklären, einen sehr geschickt abgefaßten und von ihnen gemeinschaftlich entworfenen Brief, in welchem sie ihn, ohne auf die einzelnen Thatsachen einzugehen, durch seinen verschlossenen Charakter rechtfertigte und indem sie meinen Verdacht seiner Treulosigkeit gegen einen Freund mir als ein Verbrechen auslegte, mich zur Versöhnung mit ihm aufforderte. Dieser Brief machte mich schwankend. In einer Unterredung, die wir darauf hatten und in der ich sie besser als das erste Mal vorbereitet fand, ließ ich mich vollends besiegen. Ich kam dahin zu glauben, daß ich falsch geurtheilt haben könnte und daß ich in diesem Falle einem Freunde wirklich schweres Unrecht zugefügt hätte, das ich wieder gut machen müßte. Kurz, wie ich schon Diderot und dem Baron Holbach gegenüber halb aus gutem Willen, halb aus Schwäche gethan hatte, so ließ ich mich auch diesmal wieder zu einem freundlichen Entgegenkommen verleiten, welches ich mit Recht hätte verlangen können. Ich ging wie ein zweiter George Dandin, um mich bei ihm wegen der Beleidigungen, die er mir zugefügt hatte, zu entschuldigen, immer in der falschen Ueberzeugung, die mich mein Lebenlang zu tausend Demüthigungen vor meinen falschen Freunden getrieben hat, daß es keinen Haß gebe, den man nicht durch Sanftmuth und freundliches Benehmen entwaffnen könne; während im Gegentheile der Haß der Bösen durch die Unmöglichkeit, einen Grund zu ihm zu finden, nur noch mehr zunimmt, und das Gefühl ihrer eigenen Ungerechtigkeit nur eine neue Quelle ihres Hasses wird. Meine eigene Geschichte giebt mir einen sehr starken Beweis für die Richtigkeit dieses Axioms an Grimm und Tronchin, die beide aus reiner Lust, Laune und Vergnügen meine unversöhnlichsten Feinde geworden sind, ohne auch nur das geringste Unrecht irgend einer Art, das ich je einem von ihnen
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