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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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Eremitage, den 23. Nov. 1757.
    »Könnte man vor Kummer sterben, so würde ich nicht mehr leben. Aber endlich habe ich einen Entschluß gefaßt. Die Freundschaft zwischen uns ist erloschen, gnädige Frau; aber auch die, welche aufgehört hat, bewahrt noch Rechte, die ich zu achten weiß. Ich habe Ihre Güte gegen mich nicht vergessen, und Sie können von meiner Seite auf die ganze Erkenntlichkeit zählen, die man für den, welchen man nicht mehr lieben darf, haben kann. Jede anderweitige Auseinandersetzung würde unnöthig sein; ich habe mein Gewissen für mich und überlasse Sie dem Ihrigen.
    »Ich habe die Eremitage verlassen wollen, und ich sollte es. Aber man behauptet, ich müßte noch bis zum Frühling hier bleiben, und da meine Freunde es wollen, werde ich noch bis zum Frühling hier bleiben, wenn Sie darauf eingehen.«
    Nachdem dieser Brief geschrieben und abgesandt war, dachte ich nur daran, mich auf der Eremitage zu beruhigen, indem ich für meine Gesundheit sorgte und wieder zu Kräften zu kommen und Vorbereitungen zu treffen suchte, sie im Frühjahr still, ohne Aufsehen und ohne einen Bruch anzudeuten, zu verlassen. Dies stimmte aber, wie man alsbald sehen wird, nicht zu Grimms und Frau von Epinays Rechnung.
    Einige Tage später hatte ich endlich die Freude, Diderots so oft versprochenen und bis jetzt unterlassenen Besuch zu erhalten. Er konnte nicht rechtzeitiger kommen; er war mein ältester Freund und fast der Einzige, der mir blieb. Man kann sich die Freude vorstellen, die ich unter solchen Umständen bei seinem Anblicke empfand. Mein Herz war übervoll, ich vertraute ihm alles an, was ich auf demselben hatte. Ich klärte ihn über viele Thatsachen auf, die man ihm verschwiegen, entstellt oder geradezu vorgeredet hatte. Ich unterrichtete ihn von allem Vorgefallenen, so weit mir die Mittheilung erlaubt war. Ich gab mir keine Mühe, ihm zu verschweigen, was er nur allzu gut wußte, daß nämlich eine eben so unglückliche wie unvernünftige Liebe das Werkzeug zu meinem Untergange gewesen wäre, aber ich gestand nie ein, daß Frau von Houdetot davon Kenntnis gehabt, oder wenigstens, daß ich sie ihr erklärt hätte. Ich erzählte ihm von den unwürdigen Kunstgriffen, die Frau von Epinay angewandt hatte, die sehr unschuldigen Briefe ihrer Schwägerin an mich aufzufangen. Ich wünschte, daß er die Einzelheiten aus dem Munde der Personen, welche sie zu verleiten gesucht hatte, selbst erführe. Therese gab ihm darüber genauen Aufschluß. Aber wie wurde mir, als an die Mutter die Reihe kam und ich sie erklären und betheuern hörte, daß sie nichts davon wüßte! Dies waren ihre eigenen Worte, und davon ist sie nie abgegangen. Es waren noch nicht vier Tage her, daß sie es mir selbst wiederholentlich erzählt hatte, und jetzt strafte sie mich in Gegenwart meines Freundes Lügen. Dieser Zug schien mir entscheidend, und ich empfand damals lebhaft meine Unklugheit, eine solche Frau so lange bei mir geduldet zu haben. Ich konnte mich nicht dazu verstehen, ihr Beleidigungen zu sagen; ich ließ mich kaum herab, einige Worte der Verachtung an sie zu richten. Ich war mir bewußt, was ich ihrer Tochter schuldig war, deren unerschütterliche Redlichkeit der Nichtswürdigkeit und Gemeinheit der Mutter gegenüber desto heller hervortrat. Aber seitdem war mein Entschluß hinsichtlich der Alten gefaßt, und ich wartete nur auf den Augenblick, ihn ausführen zu können.
    Dieser Augenblick kam schneller, als ich gehofft hatte. Am zehnten December erhielt ich von Frau von Epinay die Antwort auf meinen letzten Brief. Sie lautete (Heft B, Nr. 11):
    Genf, den 1. December 1757.
    »Nachdem ich Ihnen mehrere Jahre lang alle möglichen Zeichen der Freundschaft und der Theilnahme gegeben habe, bleibt mir nur übrig, Sie zu beklagen. Sie sind sehr unglücklich. Ich wünsche, daß Ihr Gewissen eben so ruhig sein möge wie das meinige. Das dürfte zur Ruhe Ihres Lebens nöthig sein.
    »Da Sie die Eremitage verlassen wollen und es für nöthig halten, so nimmt es mich Wunder, daß Ihre Freunde Sie zurückgehalten haben. Ich für meine Person befrage die meinigen nicht über meine Pflichten und habe Ihnen über die Ihrigen nichts mehr zu sagen.«
    Eine so unvorhergesehene, aber so deutlich ausgesprochene Verabschiedung ließ mich nicht einen Augenblick schwanken. Ich mußte die Eremitage auf der Stelle verlassen, welche Witterung auch sein mochte, in welchem Zustande ich mich auch befand, sollte ich auch im Walde und auf dem Schnee, mit

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