Rousseau's Bekenntnisse
sein.«
Meine Erlaubnis, meinen vorhergehenden Brief zu zeigen, bezog sich auf eine Stelle in dem seinigen, aus der man über die unendliche Schlauheit, mit der er diese ganze Angelegenheit behandelte, urtheilen kann.
Wie bereits gesagt, konnte mir mein Brief in den Augen nicht eingeweihter Leute Blößen geben. Er begrüßte es mit Freuden; aber wie nun diesen Vortheil ausnutzen, ohne sich bloszustellen? Zeigte er diesen Brief, so setzte er sich dem Vorwurfe aus, mit dem Vertrauen seines Freundes Mißbrauch zu treiben.
Um aus dieser Verlegenheit zu kommen, nahm er sich vor, in möglichst herausfordernder Weise mit mir zu brechen und mir in seinem Briefe die Gnade zum Bewußtsein zu bringen, welche er mir damit erwies, den meinigen nicht zu zeigen. Er war vollkommen überzeugt, daß ich in der Entrüstung meines Zornes seine erheuchelte Verschwiegenheit zurückweisen und ihm gestatten würde, meinen Brief der ganzen Welt zu zeigen. Das war es gerade, was er wollte, und alles geschah, wie er geplant hatte. Er wies meinen Brief in Paris überall auf mit Erklärungen seiner eigenen Rache, die gleichwohl nicht all den Erfolg hatten, den er sich davon versprochen. Man fand nicht, daß ihn die mir entpreßte Erlaubnis, meinen Brief zu zeigen, von dem Tadel losspräche, mich so rücksichtslos beim Worte genommen zu haben, um mir zu schaden. Man fragte immer, welches persönliche Unrecht ich ihm zugefügt hätte, um zu einem so leidenschaftlichen Hasse zu berechtigen. Man fand endlich: selbst wenn ich ihn so gekränkt hätte, daß er sich zum Bruche genöthigt gesehen, so verliehe die Freundschaft doch auch nach ihrem Erlöschen noch immer Rechte, welche er hätte achten müssen. Aber leider ist Paris leichtfertig; dergleichen flüchtige Eindrücke gerathen in Vergessenheit; wer so unglücklich ist, abwesend zu sein, verliert sein Recht; das Spiel der Intrigue und der Bosheit geht ununterbrochen weiter und erneuert sich, und bald verwischt seine sich unaufhörlich wiederholende Wirkung alles, was vorangegangen ist.
So ließ denn dieser Mann, nachdem er mich so lange getäuscht hatte, endlich die Maske vor mir fallen, überzeugt, daß er sie bei der Lage, in die er die Dinge gebracht, nicht länger nöthig hatte. Befreit von der Besorgnis, gegen diesen Elenden ungerecht zu sein, überließ ich ihn seinem eigenen Herzen und hörte auf, an ihn zu denken. Acht Tage nach Empfang dieses Briefes erhielt ich von Frau von Epinay die aus Genf datirte Antwort auf meinen früheren (Heft B, Nr. 10). Aus dem Ton, den sie darin zum ersten Male in ihrem Leben gegen mich anschlug, erkannte ich, daß beide im Vertrauen auf den Erfolg ihrer Maßregeln in Übereinstimmung handelten, und daß sie sich, indem sie mich als einen rettungslos verlorenen Menschen betrachteten, von nun an ohne Gefahr dem Vergnügen überließen, mich vollends zu vernichten.
Meine Lage war wirklich sehr beklagenswerth. Ich sah, wie sich alle meine Freunde von mir entfernten, ohne daß es mir möglich war, das Wie oder das Warum zu erfahren. Diderot, der sich rühmte, mir allein treu zu bleiben, und mir seit drei Monaten einen Besuch versprach, erschien nicht. Der Winter begann sich fühlbar zu machen, und mit ihm stellten sich die Anfälle meiner gewöhnlichen Leiden ein. So kräftig meine Natur auch war, so hatte sie doch die Kämpfe so vieler einander widerstreitender Leidenschaften nicht aushalten können. Ich befand mich in einer Erschöpfung, die mir weder Kraft noch Muth zum Widerstand ließ. Wenn mein gegebenes Versprechen, wenn Diderots und der Frau von Houdetot fortwährende Vorstellungen mir gestattet hätten, in diesem Augenblicke die Eremitage zu verlassen, so würde ich weder gewußt haben wohin gehen noch wie mich fortschleppen. Ich blieb regungslos und fühllos, ohne handeln oder denken zu können. Der blose Gedanke daran einen Schritt zu thun, einen Brief zu schreiben, ein Wort zu sagen, ließ mich schaudern. Gleichwohl konnte ich den Brief der Frau von Epinay nicht unbeantwortet lassen, wollte ich mich nicht der Behandlung, die mir von ihr und ihrem Freunde zu Theil wurde, für würdig bekennen. Ich entschloß mich, sie von meinen Empfindungen und Entschlüssen in Kenntnis zu setzen, da ich keinen Augenblick zweifelte, daß sie sich aus Menschlichkeit, aus Edelmuth, aus Anstand und von den guten Gefühlen angetrieben, die ich trotz mancher bösen in ihr wahrzunehmen geglaubt hatte, beeifern würde, sie zu billigen. Mein Brief lautete:
Auf der
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