Rousseau's Bekenntnisse
daran Theil nehmen werden. Sie würden mir ein wahres Vergnügen bereiten, mein Herr, wollten Sie einer der Unsrigen sein. Alle Personen, die ich bei mir sehen werde, sehnen sich nach Ihnen und werden entzückt sein, mit mir das Vergnügen zu theilen, einen Theil des Tages mit Ihnen zu verleben. Ich habe die Ehre mit der vollkommensten Hochachtung zu sein etc.«
Dieser Brief verursachte mir furchtbares Herzklopfen. Nachdem ich ein Jahr lang Paris mit Neuigkeiten erfüllt hatte, erbebte ich bei dem Gedanken, mich den Blicken der Frau von Houdetot auszusetzen, und hatte Mühe, hinreichenden Muth zu finden, um diese Probe auszuhalten. Da sie und Saint-Lambert es indessen sehr wünschten, da Herr von Epinay im Namen aller Gäste sprach und niemanden nannte, den ich nicht mit großer Freude gesehen hätte, so glaubte ich mich nach allem nicht durch die Annahme eines Essens bloßzustellen, zu dem ich gewissermaßen von jedermann eingeladen war. Ich sicherte deshalb mein Erscheinen zu. Da es am Sonntag schlechtes Wetter war, schickte mir Herr von Epinay seinen Wagen und ich fuhr ab.
Meine Ankunft erregte Aufsehen. Mir ist nie eine freundschaftlichere Aufnahme zu Theil geworden. Man hätte sagen können, die ganze Gesellschaft fühlte, wie sehr ich der Aufrichtung bedurfte. Nur französische Herzen kennen diese Art des Zartgefühls. Indessen fand ich mehr Gäste, als ich erwartet hatte, unter andern den Grafen von Houdetot, den ich noch gar nicht kannte, und seine Schwester, die Frau von Blainville, die ich gern vermißt hätte. Sie war im vorigen Jahr mehrmals nach Eaubonne gekommen, und auf unsern einsamen Promenaden hatte ihre Schwägerin sie sich oft vor der Thür langweilen lassen. Sie hatte einen ziemlichen Groll gegen mich genährt, welchen sie während des Mahles nach Herzenslust zu befriedigen suchte, denn man begreift, daß ich in der Gegenwart des Grafen von Houdetot und Saint-Lamberts die Lacher nicht auf meiner Seite hatte, und daß ein bei den leichtesten Unterhaltungen stets unbeholfener Mann in dieser nicht sehr glänzend war. Ich habe nie so viel gelitten, nie die Fassung weniger bewahrt, nie unvorhergesehenere Angriffe erfahren. Als man sich endlich von der Tafel erhoben hatte, entfernte ich mich von dieser Megäre. Ich hatte die Freude, Saint-Lambert und Frau von Houdetot sich mir nähern zu sehen, und wir plauderten einen Theil des Nachmittags mit einander zwar von gleichgültigen Dingen, aber mit derselben Vertraulichkeit wie vor meiner Verirrung. Dieses Entgegenkommen war in meinem Herzen nicht verloren, und hätte Saint-Lambert darin lesen können, wäre er sicherlich damit zufrieden gewesen. Ich kann beschwören, daß ich, obgleich mir der Anblick der Frau von Houdetot bei meiner Ankunft Herzklopfen bis zur Ohnmacht erregt hatte, beim Scheiden fast nicht mehr an sie dachte; ich war nur mit Saint-Lambert beschäftigt.
Trotz des boshaften Spottes der Frau von Blainville wurde ich von diesem Festmahl sehr angenehm berührt und ich wünschte mir aufrichtig Glück, es nicht abgelehnt zu haben. Ich erkannte dabei nicht allein, daß mir Grimms und der Holbachianer Ränke meine alten Bekannten [Fußnote: In der Einfalt meines Herzens glaubte ich es damals noch, als ich meine Bekenntnisse schrieb.] keineswegs abwendig gemacht hatten, sondern auch, was mir noch schmeichelhafter war, daß die Gefühle der Frau von Houdetot und Saint-Lamberts weniger verändert waren, als ich geglaubt hatte; und ich begriff endlich, daß die Entfernung, in der er sie von mir hielt, mehr die Folge von Eifersucht als von Geringschätzung war. Dies tröstete und beruhigte mich. Ueberzeugt, denen, die ich achtete, kein Gegenstand der Verachtung zu sein, arbeitete ich an meinem Herzen mit größerem Muth und Erfolg. Wenn ich auch nicht dahin gelangte, eine strafbare und unglückliche Leidenschaft ganz zu besiegen, so hielt ich wenigstens ihre letzten Spuren so gut in Ordnung, daß sie mich keinen einzigen Fehler seit jener Zeit begehen ließen. Die Abschriften für Frau von Houdetot, um deren Wiederaufnahme sie mich ersuchte, meine Werke, die ich ihr nach ihrem Erscheinen nach wie vor zusandte, hatten zur Folge, daß ich von ihr noch von Zeit zu Zeit einige zwar gleichgültige, aber höfliche Botschaften und Billets erhielt. Wie man in der Folge sehen wird, that sie sogar mehr, und unser gegenseitiges Benehmen nach Aufhören eines näheren Umganges kann als Muster der Art dienen, in der sich redliche Leute trennen, wenn sie es
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