Rousseau's Bekenntnisse
anders einkleidete. Da er von allem, was ich ihm zum Unterzeichnen brachte, nur die Depeschen an den Hof flüchtig durchlas und die an die anderen Gesandten, ohne sie anzublicken, unterschrieb, war es mehr in meine Hand gelegt, sie nach meinem Geschmacke abzufassen, und ich ließ sich die Neuigkeiten darin wenigstens kreuzen. Allein es war mir unmöglich, den Depeschen, und wenn sie auch noch so richtig waren, eine vernünftige Wendung zu geben; ich mußte mich noch glücklich preisen, wenn es ihm nicht in den Sinn kam, aus dem Stegreife einige Zeilen seiner eigenen Weisheit einzuflicken, die mich nöthigten zurückzukehren, um in aller Eile die mit dieser neuen Dummheit geschmückte Depesche umzuschreiben, wobei seinem erhabenen Einfalle die Ehre der Chifferschrift zu Theil werden mußte, weil er sie sonst nicht unterzeichnet hätte. Hundertmal fühlte ich mich um seiner Ehre willen versucht, etwas Anderes als seine Worte zu chiffriren; aber in dem Bewußtsein, daß mich nichts zu einer solchen Untreue berechtigen konnte, ließ ich ihn auf seine Gefahr hin Blödsinn schreiben, damit zufrieden, mich ihm gegenüber mit allem Freimuth auszusprechen und wenigstens meinerseits meine Pflicht bei ihm zu erfüllen.
Das that ich beständig mit einer Redlichkeit, einem Eifer und einem Muthe, die von seiner Seite einen andern Lohn verdient hätten, als den, welcher mir schließlich dafür zu Theil wurde. Es war Zeit, daß ich einmal das war, wozu der Himmel, der mir einen glücklichen Charakter verliehen, wozu die Erziehung, die ich von der besten der Frauen erhalten, wozu die Ausbildung, die ich selbst mir gegeben, mich gemacht hatten, und nun war ich es. Lediglich auf mich selbst angewiesen, ohne Freunde, ohne Rathgeber, ohne Erfahrung, in fremdem Lande, einem fremden Volke dienend, mitten unter einer Schaar von Gaunern, die um ihres eigenen Besten willen und um das Aergernis eines guten Beispieles aus dem Wege zu schaffen, mich zu ihrer Nacheiferung anzureizen suchten, diente ich, weit entfernt, darauf einzugehen, Frankreich, dem ich nichts schuldig war, mit aller Treue und, wie es billig war, dem Gesandten mit noch größerer in allem, was von mir abhing. Tadellos auf einem ziemlich beobachteten Posten, verdiente und errang ich mir die Achtung der Republik, die aller Gesandten, mit denen wir in Briefwechsel standen, so wie die Liebe aller in Venedig wohnhaften Franzosen, ohne den Consul selbst auszunehmen, den ich zu meinem Leidwesen in Functionen ersetzte, welche, wie ich wußte, ihm gebührten, und die mir mehr Beschwerde als Vergnügen bereiteten.
Rückhaltslos sich dem Marquis Mari anschließend, der sich mit den kleinen Angelegenheiten, die zu seinen Pflichten gehörten, nicht befaßte, vernachlässigte Herr von Montaigu sie dermaßen, daß die in Venedig ansässigen Franzosen ohne mich nichts von einem Gesandten ihres Volkes wahrgenommen haben würden. Stets ungehört abgewiesen, wenn sie seines Beistandes bedurften, verloren sie endlich den Muth, ihn zu begehren, und weder in seinem Gefolge, noch an seiner Tafel, zu der er sie niemals lud, sah man noch einen von ihnen. Aus eigenem Antriebe that ich oft, was er hätte thun müssen; ich leistete den Franzosen, die sich an ihn oder mich wandten, jeden Dienst, der in meinen Kräften stand. In jedem andern Lande würde ich mehr gethan haben, aber da ich mich meiner amtlichen Stellung wegen an niemanden wenden konnte, der in Diensten stand, war ich oft gezwungen, meine Zuflucht zu dem Consul zu nehmen; und der Consul hatte, da er mit seiner Familie in Venedig ansässig war, Rücksichten zu beobachten, die ihn verhinderten, immer nach Wunsch zu handeln. Zuweilen ließ ich mich jedoch, wenn ich sah, daß es ihm an Muth fehlte und er nicht zu reden wagte, zu kühnen Schritten hinreißen, von denen mir mehrere geglückt sind. Namentlich eines erinnere ich mich, bei dem ich noch jetzt, wenn ich daran denke, lachen muß: man wird schwerlich vermuthen, daß ich es bin, dem die Pariser Theaterfreunde die Corallina und ihre Schwester Camilla verdankt haben, und doch ist es vollkommen wahr. Véronèse, ihr Vater, hatte sich mit seinen Kindern für die italienische Truppe engagiren lassen; nachdem er aber zweitausend Francs Reisegeld erhalten hatte, war er, anstatt abzureisen, ruhig bei dem Theater von San-Luca [Fußnote: Es kann möglicherweise auch San Samuel gewesen sein. Die Eigennamen entfallen mir gänzlich.] in Venedig eingetreten, wo Coralline, so jung sie auch noch war,
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