Rousseau's Bekenntnisse
Spuren auf die im Laufe des Nachmittags angelangte Gesellschaft schloß.
Dieses Jahr 1761 machte das Maß der unaufhörlichen Verluste voll, die dieser vortreffliche Herr erlitt, seitdem ich die Ehre [Fußnote: Var. ... seitdem ich das Glück seiner Bekanntschaft hatte.] seiner Bekanntschaft hatte, als ob die Leiden, die das Geschick mir bereitete, bei dem Manne, den ich am meisten liebte und der meiner Liebe am würdigsten war, ihren Anfang nehmen sollten. Im ersten Jahre verlor er seine Schwester, die Herzogin von Villeroy; im zweiten verlor er seine Tochter, die Prinzessin von Robeck; im dritten verlor er in dem Herzog von Montmorency seinen einzigen Sohn und in dem Grafen von Luxembourg seinen Enkel, die einzigen und letzten Erben seines Hauses und seines Namens. Alle diese Verluste ertrug er mit scheinbarem Muthe, aber sein Herz hörte sein Leben lang nicht auf innerlich zu bluten, und sein Gesundheitszustand wurde immer schlechter. Der unerwartete und tiefbetrübende Tod seines Sohnes mußte für ihn um so kummervoller sein, als er gerade in dem Augenblicke erfolgte, in welchem ihm der König für seinen Sohn die Anwartschaft auf eine Stelle als Kapitän der Gardes-du-Corps gegeben und für seinen Enkel in Aussicht gestellt hatte. Er hatte den Schmerz, dieses letzte Kind, auf welches die größten Hoffnungen gesetzt waren, nach und nach dahin welken zu sehen, und zwar durch das blinde Vertrauen der Mutter zu dem Arzte, der dieses arme Kind, dessen ganze Nahrung in Medicin bestand, an Erschöpfung sterben ließ. Ach, hätte man mir doch Glauben geschenkt! Der Großvater wie der Enkel würden noch heute am Leben sein. Was habe ich dem Herrn Marschall nicht alles gesagt, nicht alles geschrieben! Welche Vorstellungen habe ich nicht der Frau von Montmorency über die mehr als strenge Diät gemacht, die sie ihr Kind im Glauben an den Arzt beobachten ließ! Frau von Luxembourg, die wie ich dachte, wollte die Autorität der Mutter nicht antasten, und Herr von Luxembourg, ein nachgiebiger und schwacher Mann, liebte es nicht zu widersprechen. Frau von Montmorency hatte zu Borden ein Vertrauen, dessen Opfer ihr Sohn schließlich wurde. Wie glücklich war das arme Kind, wenn es die Erlaubnis erlangen konnte, mit Frau von Boufflers nach Mont-Louis zu kommen, um Therese um einen kleinen Imbiß zu bitten und seinem ausgehungerten Magen ein wenig Nahrung zuzuführen! Wie sehr bedauerte ich bei mir selbst das Elend der Größe, wenn ich diesen einzigen Erben eines so großen Vermögens, eines so großen Namens, so vieler Titel und Würden ein armseliges Stückchen Schwarzbrot mit der Gier eines Bettlers verschlingen sah! Aber was ich auch immer redete und that: der Arzt siegte und das Kind starb vor Hunger.
Dasselbe Vertrauen auf Quacksalber, welches die Schuld an dem Tode des Enkels trug, grub dem Großvater das Grab, und dazu gesellte sich noch die Schwachherzigkeit, sich die Gebrechen des Alters verhehlen zu wollen. Herr von Luxembourg hatte zeitweise einige Schmerzen an der großen Zehe gehabt; in Montmorency hatte er einen Anfall davon, der Schlaflosigkeit und ein wenig Fieber zur Folge hatte. Ich wagte das Wort Podagra auszusprechen; Frau von Luxembourg schalt mich aus. Der Kammerdiener des Marschalls, der zugleich sein Wundarzt war, behauptete, es wäre nicht das Podagra und machte sich dabei, die leidende Stelle mit einem Schmerz stillenden Balsam einzureiben und zu verbinden. Leider hörte der Schmerz auf, und als er wiederkehrte, verabsäumte man nicht, dasselbe Heilmittel, das ihn schon einmal gelindert hatte, anzuwenden; seine Gesundheit litt darunter, das Leiden nahm zu, und die Heilmittel eben so. Frau von Luxembourg, die schließlich recht gut einsah, daß es das Podagra war, widersetzte sich dieser unsinnigen Behandlung. Man hielt sie jetzt vor ihr geheim, und Herr von Luxembourg starb nach einigen Jahren aus eigener Schuld, weil er hartnäckig darauf bestanden hatte, sein Leiden zu heilen. Aber greifen wir den Unglücksfällen nicht so weit vor; wie viele andere bleiben mir noch vor diesem zu berichten!
Es ist merkwürdig, in wie verhängnisvoller Weise alles, was ich sagen und thun mochte, dazu angethan schien, der Frau von Luxembourg zu mißfallen, selbst dann, wenn ich am meisten darauf bedacht war, mir ihr Wohlwollen zu bewahren. Der Kummer, von dem Herr von Luxembourg immer von neuem heimgesucht wurde, fesselte mich nur noch mehr an ihn und folglich auch an Frau von Luxembourg, denn sie schienen mir
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