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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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Erinnerungen, aber sie sind hinsichtlich dieses bitteren Lebensabschnittes so lebhaft und die Eindrücke, die sie in mir hinterlassen, sind so stark, daß ich, auf dem grenzenlosen Meere meines Mißgeschicks verloren, die Einzelheiten meines ersten Schiffbruches nicht zu vergessen vermag, obgleich seine Folgen mir nur noch verworrene Erinnerungen bieten. So bin ich im Stande, im folgenden Buche noch immer mit ziemlicher Sicherheit vorwärts zu gehen. Wenn ich dann aber weiter schreite, geschieht es nur noch tastend.

Elftes Buch.
1761
    Obgleich die »Julie«, die sich längst unter der Presse befand, auch am Ende des Jahres 1760 noch nicht erschien, so begann sie doch schon Aufsehen zu erregen. Am Hofe hatte von ihr Frau von Luxembourg, in Paris Frau von Houdetot geredet. Letztere hatte von mir sogar für Saint-Lambert die Erlaubnis erhalten, sie im Manuscript den König von Polen lesen zu lassen, der von ihr begeistert war. Duclos, den ich sie ebenfalls hatte lesen lassen, hatte von ihr in der Akademie geredet. Ganz Paris war voller Ungeduld, diesen Roman zu lesen; die Buchhändler in der Straße Saint-Jacques und im Palais-Royal wurden von Leuten, die sich nach ihm erkundigten, belagert. Endlich erschien er, und gegen die gewöhnliche Erfahrung entsprach sein Erfolg der Begierde, mit der er erwartet worden war. [Fußnote: In den ersten Tagen nach seinem Erscheinen lieh man ihn für zwölf Sous die Stunde aus.] Die Frau Dauphine, die ihn mit zuerst gelesen hatte, redete mit Herrn von Luxembourg von ihm wie von einem entzückenden Werke. Unter den Schriftstellern waren die Ansichten getheilt, aber in allen andern Kreisen herrschte nur eine Meinung. Namentlich die Frauen waren von dem Buche wie von dem Verfasser bis zu dem Grade berauscht, daß es selbst in den hohen Kreisen nur wenige gab, deren Eroberung ich nicht gemacht hätte, wenn ich sie mir hätte angelegen sein lassen. Ich habe Beweise dafür, die ich nicht anführen will, und die, ohne daß ich sie erst hätte zu erproben brauchen, meine Behauptung rechtfertigen. Merkwürdig ist, daß dieses Buch in Frankreich größeren Erfolg gehabt hat als in dem übrigen Europa, obgleich die Franzosen, Männer wie Frauen, nicht sehr gut darin behandelt werden. Völlig gegen meine Erwartung war sein geringster Erfolg in der Schweiz, sein bedeutendster in Paris. Herrschen denn Freundschaft, Liebe, Tugend in Paris in größerem Umfange als anderswo? Nein, keineswegs; aber es herrscht daselbst noch jenes feine Urtheil, welches unser Herz an unsren Vorstellungen Theil nehmen läßt und uns an andern die reinen, zärtlichen und tugendhaften Gefühle lieben läßt, die wir nicht mehr besitzen. Die Sittenverderbnis ist nunmehr überall gleich groß; in Europa giebt es weder Sitten noch Tugend mehr, aber wenn es noch irgendwo Liebe zu ihnen giebt, muß man sie in Paris suchen. [Fußnote: Ich schrieb dies im Jahre 1769.]
    Mitten durch so viele Vorurtheile und erkünstelte Leidenschaften hindurch muß man das menschliche Herz genau zu analysiren verstehen, um darin die wahren Gefühle der Natur zu erkennen. Es gehört ein Zartgefühl dazu, das man sich nur im Verkehre mit der großen Welt aneignet, um, wenn ich so sagen darf, die Herzensfeinheiten zu fühlen, von denen dieses Werk voll ist. Den vierten Theil desselben stelle ich ohne Scheu der »Prinzessin von Cleve« zur Seite, und behaupte, wären beide Arbeiten nur in der Provinz gelesen worden, so würde man ihren vollen Werth nie erkannt haben. Deshalb nimmt es nicht Wunder, daß der Erfolg dieses Buches bei Hofe am größten war. Es enthält eine Fülle von spannenden, wenn auch verschleierten Anspielungen, die dort gefallen müssen, weil man geübter ist, den eigentlichen Sinn zu erfassen. Doch auch hier noch muß man unterscheiden. Diese Lectüre ist wahrlich nicht für jene Klasse geistreicher Leute geeignet, die nur die Schlauheit und Spitzfindigkeit besitzen, das Schlechte zu durchschauen, und die da, wo nur Gutes zu sehen ist, nichts sehen. Wäre die »Julie« zum Beispiel in einem gewissen Lande, an das ich gerade denke, veröffentlicht worden, so bin ich sicher, daß niemand die Lectüre zu Ende gebracht hätte und sie schon am Anfange eingeschlafen wäre.
    Die meisten Briefe, die mir über dieses Werk geschrieben wurden, habe ich in einem Hefte gesammelt, welches sich in den Händen der Frau von Nadaillac befindet. Wenn diese Sammlung je erscheint, wird man höchst eigentümliche Dinge und einen Widerspruch in der

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