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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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Beurtheilung wahrnehmen, der anschaulich zeigt, was der Verkehr mit dem Publikum zu bedeuten hat. Was man in der »Julie« am wenigsten gefunden hat und was aus ihr immer ein einziges Werk machen wird, ist die Einfachheit des Gegenstandes und das ununterbrochene Interesse, das, auf drei Personen beschränkt, sich sechs Bände hindurch ohne Episoden, ohne romantische Abenteuer, ohne Schlechtigkeiten irgend einer Art weder in den Charakteren noch in den Handlungen erhält. Diderot hat Richardson über die wunderbare Abwechselung in seinen Schilderungen und über die Menge der vorgeführten Persönlichkeiten große Lobeserhebungen gemacht. Richardson hat in der That das Verdienst, sie alle vorzüglich charakterisirt zu haben; allein was ihre Zahl anlangt, so hat er dies mit den geschmacklosesten Romanschreibern gemein, welche ihren Mangel an Gedanken durch den Reichthum an Personen und Abenteuern ersetzen. Es ist leicht, die Aufmerksamkeit zu erregen, wenn man unaufhörlich unerhörte Begebenheiten und neue Gesichter vorführt, die wie die Bilder der Zauberlaterne vorüberziehen; aber diese Aufmerksamkeit stets auf die gleichen Gegenstände zu richten und zwar ohne wunderbare Abenteuer, das ist meiner Treu schwieriger; und wenn bei aller sonstigen Gleichheit die Einfachheit des Stoffes die Schönheit des Werkes hebt, so können Richardsons [Fußnote: Var. ... so können sich Richardsons Romane, was Diderot auch sagen möge, doch in dieser Hinsicht etc.] in vielen andren Dingen vorzüglichere Romane sich doch in dieser Hinsicht mit dem meinigen nicht vergleichen. Trotzdem ist dieses so gut wie todt; ich weiß es und weiß auch den Grund; aber es wird wieder auferstehen.
    Meine ganze Furcht war, daß in Folge der Einfachheit das langsame Fortschreiten langweilig werden würde und daß ich das Interesse nicht genug anzufachen verstanden hätte, um es bis zum Ende zu erhalten. Hierüber wurde ich durch eine Thatsache beruhigt, die allein mir mehr geschmeichelt hat als alle Höflichkeiten und Glückwünsche, die mir über dieses Werk zu Theil geworden sind.
    Es erschien zu Anfang des Carnevals. Ein Colporteur brachte es der Frau Prinzessin von Talmont, [Fußnote: Nicht sie, sondern eine andere Dame, deren Namen ich nicht kenne, war es, aber die Thatsache ist mir versichert worden.] als an demselben Tage grade Ball in der Oper war. Nach dem Abendessen ließ sie sich ankleiden, um dorthin zu gehen, und bis zur Abfahrtsstunde begann sie den neuen Roman zu lesen. Um Mitternacht befahl sie anzuspannen und fuhr zu lesen fort. Man meldete ihr, daß vorgefahren wäre; sie antwortete nicht. Als ihre Leute sahen, daß sie die Abfahrt vergessen hatte, machten sie sie darauf aufmerksam, daß es zwei Uhr wäre. »Es eilt nicht,« erwiderte sie, immer weiter lesend. Etwas später schellte sie, um sich, da ihre Uhr stehen geblieben war, nach der Zeit zu erkundigen. Man sagte ihr, es wäre vier Uhr. »Dann ist es zu spät, noch auf den Ball zu fahren,« entgegnete sie, »man spanne wieder aus.« Sie ließ sich auskleiden und las die ganze Nacht hindurch.
    Seitdem man mir diese Anekdote erzählt hatte, sehnte ich mich immer danach, Frau von Talmont zu sehen, nicht allein um von ihr selbst zu erfahren, ob sie wirklich wahr ist, sondern auch weil ich stets überzeugt gewesen bin, daß man für die »Heloise« nicht ein so lebendiges Interesse fassen könnte, ohne jenen sechsten Sinn, den moralischen Sinn zu besitzen, mit dem so wenige Herzen ausgestattet und ohne den niemand das meinige zu verstehen vermag.
    Was die Frauen mir so günstig stimmte, war ihre Ueberzeugung, ich hätte meine eigene Geschichte geschrieben und wäre selbst der Held dieses Romans. Diese Meinung hatte sich so fest gesetzt, daß Frau von Polignac brieflich Frau von Verdelin ersuchte, mich dazu zu bewegen, sie Juliens Porträt sehen zu lassen. Alle Welt war darin einig, daß man Gefühle, die man nicht empfunden, nicht so lebhaft wiederzugeben noch die Glut der Liebe anders als nach den Erfahrungen des eigenen Herzens zu schildern vermöchte. Hierin hatte man Recht und gewiß schrieb ich diesen Roman in den begeistertsten Verzückungen; indessen man täuschte sich, wenn man wähnte, daß ich, um in sie zu gerathen, wirkliche Gegenstände nöthig gehabt hätte; man war weit davon entfernt zu begreifen, wie sehr ich für eingebildete Wesen zu erglühen im Stande bin. Ohne einige Erinnerungen an meine Jugend und Frau von Houdetot hätte die Liebe, die ich empfunden und

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