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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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genug wäre, es wirklich zu sein. Ich war überzeugt, daß eine niedrige und leicht auszuübende Rache nicht einen Augenblick die Ruhmliebe in ihm überwiegen könnte, und wenn ich mich an seine Stelle dachte, hielt ich es nicht für unmöglich, daß er die Gelegenheit benutzen würde, um den Mann, der es gewagt hatte, von ihm schlecht zu denken, durch das ganze Gewicht seines Edelmuths niederzubeugen. So übersiedelte ich denn nach Motiers mit einer Zuversicht, deren Werth ich ihn einzusehen für befähigt hielt, und sagte zu mir: »Wird sich Friedrich, wenn sich Jean-Jacques neben Coriolan erhebt, niedriger zeigen als der Feldherr der Volsker?«
    Der Obrist Roguin wollte mich durchaus über den Berg begleiten und mich persönlich in Motiers einführen. Eine Schwägerin der Frau Boy de la Tour, eine gewisse Frau Girardier, der das Haus, welches ich in Besitz nehmen wollte, sehr bequem war, sah meine Ankunft keineswegs, mit Freuden; trotzdem übergab sie mir meine Wohnung mit aller Höflichkeit, und ich aß bei ihr, bis Therese angekommen und meine kleine Wirtschaft eingerichtet war.
    Da ich seit meiner Abreise von Montmorency das Gefühl in mir trug, daß ich von nun an auf Erden flüchtig und unstät sein würde, trug ich Bedenken, ob ich ihr gestatten sollte, wieder zu mir zu kommen und das umherirrende Leben, zu dem ich mich verurtheilt sah, zu theilen. Ich fühlte, daß unsere Beziehungen durch diesen Wendepunkt eine Aenderung erleiden müßten und daß, was bis dahin meinerseits Gunst und Wohlthat gewesen war, es von nun an ihrerseits werden würde. Bestand ihre Neigung zu mir die Prüfung meiner Leiden, so mußte sie von Trauer ergriffen werden und ihr Schmerz mein Elend nur erhöhen. Erkaltete dagegen mein Unglück ihr Herz, so mußte sie mir ihre Beständigkeit als ein Opfer anrechnen, und anstatt die Freude zu empfinden, die ich darüber hatte, mein letztes Stückchen Brot mit ihr zu theilen, konnte sie nur das Verdienst fühlen, welches sie sich durch den Wunsch erwarb, mir überall hin zu folgen, wohin mein Schicksal mich trieb.
    Ich muß alles sagen. Da ich weder die Fehler meiner armen Mama noch meine eigenen verschwiegen habe, darf ich auch Theresen nicht mehr Gnade erweisen; und wie große Freude es mir auch macht, einer Person, die mir so theuer ist, alle Ehre anzuthun, so will ich doch auch ihr Unrecht nicht verhüllen, wenn anders ein unwillkürlicher Wechsel in den Neigungen des Herzens ein wirkliches Unrecht ist. Schon längst nahm ich eine Erkaltung des ihrigen wahr. Ich fühlte, daß sie mir nicht mehr das war, was sie mir in unsern schönen Jahren gewesen, und fühlte es um so mehr, als ich ihr stets derselbe war. Es trat bei mir derselbe Uebelstand ein, dessen Wirkung ich bei Mama empfunden hatte, und bei Therese war die Wirkung die nämliche. Suchen wir keine Vollkommenheiten, die die Grenzen der Natur überschreiten; bei jeder andern Frau, wer sie auch sein möchte, würde sich dasselbe zeigen. So überlegt mir auch meine Handlungsweise gegen meine Kinder vorgekommen war, so hatte sie mir doch nicht immer das Herz ruhig gelassen. Als ich über meine »Abhandlung über die Erziehung« nachdachte, fühlte ich, daß ich Pflichten verabsäumt hatte, von denen mich nichts befreien konnte. Meine Reue wurde endlich so groß, daß sie mir gleich am Anfange des »Emil« beinahe das öffentliche Geständnis meines Fehlers entriß, und die Stelle selbst ist so klar, daß es nach einer solchen Wunder nimmt, daß man den Muth gehabt hat, mir den Fehler [Fußnote: Die Stelle findet sich im ersten Buche des Emil und beginnt: Wenn ein Vater Kinder erzeugt und aufzieht, so thut er damit erst den dritten Theil seiner Aufgabe.] vorzuwerfen. Meine Lage war damals jedoch dieselbe und in Folge der Erbitterung meiner Feinde, die mich nur auf frischer That zu ertappen suchten, noch schlimmer. Ich fürchtete eine Wiederholung, und da ich mich dieser Gefahr nicht aussetzen wollte, so verurtheilte ich mich lieber zur Enthaltsamkeit, als Therese in die Gefahr zu bringen, sich abermals in derselben Lage zu sehen. Ueberdies hatte ich bemerkt, daß der Umgang mit Frauen meinen Zustand augenscheinlich verschlimmerte, [Fußnote: Var. ... verschlimmerte. Das dafür Ersatz gebende Laster, von dem ich mich nie habe vollkommen heilen können, schien mir weniger nachtheilig; dieser doppelte Grund etc.] dieser doppelte Grund hatte mich zu einem Entschlusse gedrängt, dem ich allerdings nicht immer treu geblieben bin, den ich

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