Rousseau's Bekenntnisse
aufgeschlagen hatte. Man nannte ihn in der Gegend den Baron von Sauttern, unter welchem Namen er von Zürich aus empfohlen worden war. Er war groß und von schönem Wuchse, hatte ein angenehmes Aeußere und war im geselligen Verkehre anziehend und sanft. Er erzählte aller Welt und gab es mir selbst zu verstehen, daß er nur um meinetwillen nach Neufchâtel gekommen wäre, um durch den Umgang mit mir seine Jugend zur Tugend zu bilden. Sein Gesicht, sein Ton, sein Benehmen schienen mir mit seinen Reden in Einklang, und ich würde geglaubt haben, gegen eine der größten Pflichten zu verstoßen, hätte ich mich eines jungen Mannes nicht angenommen, an dem ich nur Liebenswürdiges wahrnahm, und der mich aus einem so achtungswerthen Grunde aufsuchte. Mein Herz versteht nicht sich nur halb hinzugeben. Binnen kurzem besaß er meine ganze Freundschaft, mein ganzes Vertrauen; wir wurden unzertrennlich. Er war mein Begleiter auf allen meinen Wanderungen und gewann Lust an ihnen. Ich nahm ihn zu Mylord Marschall mit, der ihm tausend Freundlichkeiten erwies. Da er sich noch nicht im Französischen auszudrücken vermochte, so bediente er sich mir gegenüber im mündlichen wie im schriftlichen Verkehre der lateinischen Sprache; ich antwortete ihm französisch, und diese Vermischung der beiden Sprachen machte unsere Unterhaltungen in keinerlei Weise weniger fließend und lebhaft. Er sprach mit mir von seiner Familie, von seinen Geschäften, von seinen Abenteuern, von dem Wiener Hofe, dessen innerste Angelegenheiten er genau zu kennen schien. Kurz, fast zwei Jahre lang, die wir mit einander in innigster Vertrautheit verlebten, fand ich an ihm eine über alle Probe erhabene Sanftheit des Charakters, ein nicht nur ehrenwerthes, sondern auch feines Benehmen, eine ungemeine Sauberkeit an seiner ganzen Person, eine außerordentliche Ehrbarkeit in allen seinen Aeußerungen, kurz lauter Merkmale eines Mannes von vornehmer Geburt, die ihn mir zu schätzenswerth machten, um ihn mir nicht theuer zu machen.
Mitten in meinem freundschaftlichen Verkehre mit ihm schrieb mir Herr von Ivernois aus Genf, ich sollte vor dem jungen Ungarn, der sich in meiner Nähe niedergelassen hätte, auf der Hut sein; man hätte ihm die Versicherung gegeben, daß er ein Spion wäre, den das französische Ministerium zu meiner Überwachung unterhielte. Diese Warnung konnte um so beunruhigender erscheinen, als mich in der hiesigen Gegend alle Welt warnte, mich zu hüten, da man mir auflauerte und mich auf französisches Gebiet hinüberzulocken suchte, um mir dort übel mitzuspielen.
Um diesen albernen Warnern ein für alle Mal den Mund zu schließen, schlug ich Sauttern, ohne ihn etwas merken zu lassen, eine Wanderung nach Pontarlier vor; er willigte ein. Als wir in Pontarlier angekommen waren, gab ich ihm Ivernois' Brief zu lesen, und ihn darauf leidenschaftlich umarmend, sagte ich zu ihm: »Sie bedürfen nicht, Sauttern, daß ich Ihnen erst mein Vertrauen beweise, aber das Publikum hat den Beweis nöthig, daß ich es nur der rechten Person zu schenken weiß.« Diese Umarmung war sehr süß; es war eine jener Seelenfreuden, deren die Verfolger unfähig sind, und die sie den Unterdrückten nimmer rauben können.
Ich werde nie glauben, daß Sauttern ein Spion war oder mich verrathen hat; aber er hat mich hintergangen. Während ich ihm mein Herz rückhaltlos ausschüttete, hatte er den Muth, mir beharrlich das seine zu verschließen und mich durch Lügen zu täuschen. Um mich zu betrügen, ersann er, ich weiß nicht was für eine Geschichte, die mich zu dem Wahne brachte, daß seine Gegenwart in seiner Heimat nöthig wäre. Ich forderte ihn auf, augenblicklich abzureisen; er brach auf, und als ich ihn bereits in Ungarn glaubte, erfuhr ich, daß er in Straßburg war. Es war nicht das erste Mal, daß er dort gewesen. Er hatte daselbst eine junge Ehe gestört. Der Gatte, welcher wußte, daß ich mit ihm verkehrte, hatte an mich geschrieben. Ich hatte nichts unterlassen, um die junge Frau zur Tugend und Sauttern zu seiner Pflicht zurückzubringen. Während ich sie vollkommen von einander getrennt wähnte, hatten sie sich wieder genähert, und der Gatte selbst hatte die Gefälligkeit, den jungen Mann wieder in sein Haus aufzunehmen; von da an hatte ich nichts mehr zu sagen. Ich vernahm, daß mir der vermeintliche Baron ein ganzes Lügengewebe weis gemacht hatte. Er hieß nicht Sauttern, sondern Sauttersheim. Was seinen Barontitel anlangt, den man ihm in der Schweiz
Weitere Kostenlose Bücher