Rousseau's Bekenntnisse
ich in der Schweiz war und nachher nie mehr. Es bedurfte all der Voreingenommenheit, all des Vertrauens, all der Blindheit, worin ich noch immer verharrte, um ihr nicht mehr als blose Erhaltung gegen mich anzumerken.
Der Buchhändler Guy, Duchesnes Geschäftstheilnehmer, der das Hotel Luxembourg, durch mich eingeführt, fleißig besuchte, schrieb mir, daß der Marschall meiner in seinem Testamente gedacht hätte. Es war dies etwas ganz Natürliches und ganz Glaubhaftes, und ich zweifelte deshalb nicht daran. Das veranlaßte mich zur Ueberlegung, wie ich mich in Bezug auf dieses Vermächtnis verhalten sollte. Alles wohl erwogen, entschloß ich mich zur Annahme desselben, worin es auch bestehen möchte, und einem Ehrenmanne, der in einem Range, in den die Freundschaft nicht leicht hineindringt, doch eine wahre für mich gehabt hatte, diese Ehre zu erzeigen. Dieser Pflicht bin ich jedoch überhoben worden, da ich von diesem wirklichen oder nur fälschlich angenommenen Legate nichts mehr gehört habe; und in der That würde es mir peinlich gewesen sein, gegen einen der großen Grundsätze meiner Moral dadurch zu verstoßen, daß ich aus dem Tode jemandes, der mir theuer gewesen war, Nutzen zog. Während der letzten Krankheit unseres Freundes Mussard schlug mir Lenieps vor, die Dankbarkeit, die er für unsere Pflege an den Tag legte, zu benutzen, um ihn zu einigen Vermächtnissen zu unseren Gunsten zu vermögen. »Ach, theurer Lenieps,« sagte ich zu ihm, »beschmutzen wir nicht die traurigen, aber geheiligten Pflichten, die wir gegen unseren sterbenden Freund üben, durch eigennützige Gedanken. Ich hoffe nie in dem Testamente irgend einer Person genannt zu werden, wenigstens nie in dem Testamente eines meiner Freunde.« Dies trug sich ungefähr um dieselbe Zeit zu, in der Mylord Marschall von dem seinigen und von dem erzählte, was er darin für mich zu thun beabsichtigte, und ich ihm die Antwort gab, deren ich in dem ersten Theile erwähnt habe.
Mein zweiter Verlust, der noch empfindlicher und entsetzlicher war, betraf die beste der Frauen und Mütter, die, schon von Jahren und noch mehr von Gebrechen und Elend beschwert, dieses Thränenthal verließ, um in die Wohnung der Seligen überzugehen, wo die freundliche Erinnerung an das Gute, das man hienieden gethan hat, seinen ewigen Lohn bildet. Geh, sanfte und wohlthätige Seele, zu den Fénelon, den Berner, den Catinat, und zu denen, die in einem niedrigeren Stande wie diese ihre Herzen der wahren Liebe geöffnet haben! Geh, den Lohn der deinigen zu genießen, und bereite deinem Zöglinge den Platz, den er eines Tages an deiner Seite einzunehmen hofft, glücklich in deinem Mißgeschick, daß dir der Himmel durch Beendigung des deinigen den schmerzlichen Anblick des seinigen erspart habe. In der Befürchtung, ihr Herz durch die Erzählung meiner ersten Unglücksfälle zu bekümmern, hatte ich seit meiner Ankunft in der Schweiz nicht an sie geschrieben; allein ich schrieb an Herrn Conzié, um mich nach ihr zu erkundigen, und er war es, der mir die Mittheilung machte, daß sie aufgehört hätte, die Leidenden zu trösten und selbst zu leiden. Bald werde auch ich aufhören zu leiden, aber wenn ich glaubte, sie in dem andern Leben nicht wiederzusehen, so würde sich meine schwache Einbildungskraft gegen den Gedanken an ein vollkommenes Glück, das ich mir dort verspreche, auflehnen.
Mein dritter und letzter Verlust, denn seitdem sind mir keine Freunde zum Verlieren mehr geblieben, war der Mylord Marschalls. Er starb nicht, aber müde, Undankbaren zu dienen, verließ er Neufchâtel, und seitdem habe ich ihn nicht wiedergesehen. Er lebt und wird mich, wie ich hoffe, überleben; er lebt und Dank ihm, sind nicht alle meine Liebesbande auf Erden zerrissen; es bleibt auf ihr noch ein meiner Freundschaft würdiger Mann zurück, denn ihr wahrer Werth liegt ja weit mehr in der Freundschaft, die man fühlt, als in der, welche man einflößt; aber ich habe die Annehmlichkeiten verloren, die mir die seinige so reichlich gewährte, und ich kann ihn nur in die Reihe derer stellen, die ich noch immer liebe, mit denen ich aber nicht mehr in Verbindung stehe. Er ging, nachdem er begnadigt war, nach England zurück, um seine ehedem eingezogenen Güter zurückzukaufen. Wir schieden von einander nicht ohne Pläne einer späteren Wiedervereinigung, die ihm fast eben so angenehm zu sein schienen wie mir. Er wollte seinen Wohnsitz in dem Schlosse Keith-Hall bei Aberdeen aufschlagen, und ich
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