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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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weigern sollte, in den Kirchenbann zu thun. Dieser Kirchenbann konnte ebenfalls nur vom Consistorium ausgehen und zwar nach Stimmenmehrheit. Allein unter den Bauern, welche unter dem Namen »Aelteste« diese Versammlung bildeten, führte der Prediger den Vorsitz und lenkte sie, wie man leicht begreift. Daher konnten sie natürlich keiner andern Meinung sein als der seinigen, namentlich über theologische Fragen, von denen sie noch weniger verstanden als er. Ich wurde also vorgeladen und beschloß zu erscheinen.
    Welch glücklicher Umstand und welcher Triumph für mich, wenn ich zu reden verstanden und, so zu sagen, meine Feder im Munde geführt hätte. Mit welcher Ueberlegenheit, mit welcher Leichtigkeit würde ich diesen armen Prediger inmitten seiner sechs Bauern zu Boden geschmettert haben! Obgleich die Herrschsucht die protestantische Geistlichkeit alle Grundsätze der Reformation hat vergessen lassen, so brauchte ich, um ihn wieder an sie zu erinnern und zum Schweigen zu bringen, nur meine ersten »Briefe vom Berge« zu erklären, über die er die Dummheit gehabt hatte sich tadelnd gegen mich auszusprechen. Mein Thema war ganz fertig, ich brauchte es nur erschöpfend zu besprechen, und mein Mann war ganz zum Schweigen gebracht. Ich wäre nicht so thöricht gewesen mich nur abwehrend zu verhalten; es war mir leicht, angreifend vorzugehen, sogar ohne daß man es merkte oder sich dagegen schützen konnte. Die Pfäfflein hatten, eben so unbesonnen wie unwissend, mich selbst in die glücklichste Stellung gebracht, die ich hätte wünschen können, um sie nach Herzenslust zu vernichten. Aber wie nun! Ich hätte reden, hätte auf der Stelle reden müssen, mir hätten Gedanken, Wendungen, Worte jeden Augenblick zu Gebote stehen müssen, ich hätte stets Geistesgegenwart, stets kaltes Blut haben müssen, mich nicht eine Minute verlegen zeigen dürfen. Was konnte ich von mir hoffen, ich, der ich so genau meine Unfähigkeit kannte, mich auf der Stelle auszudrücken? Ich war in Genf vor einer mir völlig günstig gestimmten und mir alles zu bewilligen bereiten Versammlung zum demüthigsten Schweigen gebracht worden. Hier war es ganz das Gegentheil. Ich hatte es mit einem Aufhetzer zu thun, bei dem Arglist an die Stelle des Wissens trat, der mir hundert Fallstricke legte, ehe ich einen merkte, und ganz entschlossen war, mich, es koste, was es wolle, auf einem Fehler zu ertappen. Je länger ich diese Lage prüfte, desto gefährlicher schien sie mir, und die Unmöglichkeit einsehend, mich mit Erfolg aus ihr herauszuziehen, sann ich auf ein anderes Auskunftsmittel. Ich überdachte eine Rede, die ich vor dem Consistorio halten wollte, um es für incompetent zu erklären und mich dadurch der Antwort zu überheben. Die Sache war sehr leicht; ich schrieb diese Rede aus und begann sie mit einem Eifer ohne Gleichen auswendig zu lernen. Therese machte sich über mich lustig, wenn sie mich murmeln und unaufhörlich dieselben Redensarten wiederholen hörte, um sie in den Kopf zu bekommen. Ich hoffte, meine Rede endlich zu behalten; ich wußte, daß der Gerichtsverwalter als fürstlicher Beamter dem Consistorium beiwohnen würde und daß mir der größte Theil der Aeltesten trotz Montmollins Kriegslisten und Flaschen Wein günstig gesinnt war. Auf meiner Seite hatte ich die Vernunft, die Wahrheit, die Gerechtigkeit, den Schutz des Königs, den Einfluß des Staatsrats und die Wünsche aller guten Patrioten, für welche die Niedersetzung eines solchen Ketzergerichtes von Wichtigkeit war; kurz, alles trug zu meiner Ermuthigung bei.
    Am Tage vor dem Termine wußte ich meine Rede auswendig; ich sagte sie ohne Fehler auf. Ich rief sie mir die ganze Nacht immer wieder ins Gedächtnis zurück; am Morgen wußte ich sie nicht mehr; ich stockte bei jedem Worte, ich wähne mich schon in der erlauchten Versammlung, ich werde verlegen, ich stammle, ich verliere den Kopf; kurz, fast im Augenblicke des Gehens entsinkt mir der Muth gänzlich. Ich bleibe zu Hause und entschließe mich, an das Consistorium zu schreiben, indem ich in aller Hast meine Gründe auseinandersetze und mein Leiden vorschütze, welches bei meinem damaligen Zustande in der That meine Anwesenheit während der ganzen Sitzung schwerlich zugelassen hätte.
    Durch meinen Brief in Verlegenheit gesetzt, verschob der Prediger die Angelegenheit auf eine andere Sitzung. In der Zwischenzeit gab er sich persönlich wie durch die Vermittelung seiner Creaturen alle mögliche Mühe, um diejenigen

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