Rousseau's Bekenntnisse
Widerspruchsgeist sie mir eingeflößt haben. Ich habe, namentlich den Frauen gegenüber, Anstand in Worten wie im Benehmen stets geliebt. Ich wurde offen ihr Vertheidiger. Ich sah, wie dankbar sie mir in ihrem Herzen für mein ritterliches Auftreten war, und ihre von der Erkenntlichkeit, welche ihr Mund nicht auszusprechen wagte, belebten Blicke wurden nur um so rührender.
Sie war sehr schüchtern; ich war es ebenfalls. Die nähere Bekanntschaft, welcher dieser gemeinschaftliche Charakterzug hinderlich zu sein schien, wurde gleichwohl sehr schnell angeknüpft. Die Wirthin, der es nicht entging, wurde wüthend, und ihre Grobheiten gereichten mir bei der Kleinen, die sich im Hause nur auf meinen Schutz angewiesen sah und deshalb, so oft ich ausging, nach der Rückkehr ihres Beschützers seufzte, zu um so größerem Vortheile. Unsere gegenseitige Zuneigung nahm bald den gewöhnlichen Verlauf. Sie glaubte in mir einen redlichen Mann zu erkennen; sie täuschte sich nicht. Ich meinerseits glaubte in ihr ein gefühlvolles und einfaches Mädchen, welches frei von Gefallsucht war, zu erkennen und täuschte mich eben so wenig. Ich erklärte ihr von vorn herein, ich würde sie nie verlassen, aber auch nie heirathen. Liebe, Achtung und unverstellte Aufrichtigkeit bahnten mir den Weg zum Siege, und weil ihr Herz zärtlich und redlich war, wurde ich glücklich, ohne daß ich es nöthig hatte, mit Ungestüm in sie zu dringen.
Die Besorgnis, die sie hegte, daß ich in ihr nicht das finden würde, was ich, wie sie glaubte, suchte, verzögerte mein Glück mehr als alles andere. Ich sah, wie sie, ehe sie sich ergab, bestürzt und verlegen war, voll Verlangen sich auszusprechen, ohne daß sie doch den Muth dazu fand. Weit entfernt, die wahre Ursache ihrer Verlegenheit zu ahnen, dachte ich mir eine sehr falsche, die mir ihren Wandel in sehr schlechtem Lichte erscheinen ließ, und in der Voraussetzung, daß sie mir zu verstehen geben wollte, meine Gesundheit könnte bei ihr Gefahr laufen, bemächtigte sich meiner eine gewisse Unruhe, die mich zwar nicht zurückhielt, mir aber doch mein Glück einige Tage lang vergiftete. Da wir uns gegenseitig nicht verstanden, waren unsere Unterhaltungen in Bezug auf diesen Punkt eben so viele Räthsel und mehr als lächerliche Mißverständnisse. Sie schien mich für halb närrisch zu halten, und ich wußte meinerseits nicht, was ich von ihr denken sollte. Endlich erklärten wir uns gegenseitig. Sie legte mir weinend das Geständnis ab, daß sie sich ein einziges Mal beim Austritt aus der Kindheit aus Unwissenheit durch einen schlauen Verführer habe bethören lassen. Sobald ich sie begriff, schrie ich laut auf: »Jungfrauschaft, wer wollte sie in Paris, wer wollte sie bei zwanzig Jahren suchen! Ach, meine Therese, ich bin allzu glücklich, dich züchtig und gesund zu besitzen, wenn ich auch das nicht fand, was ich gar nicht suchte.«
Anfangs hatte ich mir nur einen Genuß zu verschaffen gesucht. Ich sah, daß ich mehr als dies, daß ich eine Lebensgefährtin in ihr gefunden hatte. Ein kurzer Umgang mit diesem vortrefflichen Mädchen, ein wenig Nachdenken über meine Lage brachte mir die Ueberzeugung bei, daß ich, während ich nur an Genuß gedacht, viel für mein Glück gethan hatte. Ich bedurfte an Stelle des erloschenen Ehrgeizes eines leidenschaftlichen Gefühls, das mein Herz ausfüllte. Ich bedurfte, um es kurz heraus zu sagen, einer Nachfolgerin Mamas: da ich nicht mehr mit ihr leben durfte, hatte ich eine Person nöthig, die mit ihrem Zögling lebte, und in der ich die Einfachheit und Herzensfreundschaft finden konnte, die sie in mir gefunden hatte. Das ruhige Glück des häuslichen Lebens mußte mich für das glänzende Loos, dem ich entsagte, schadlos halten. Sobald ich ganz allein war, fühlte mein Herz sich leer, aber es bedurfte nur eines einzigen, es auszufüllen. Das Schicksal hatte mir das Herz geraubt, oder es mir wenigstens zum Theil entfremdet, für das die Natur mich geschaffen hatte. Seit jener Zeit war ich allein, denn für mich gab es zwischen allem und nichts nie ein Mittelding. In Therese fand ich den Ersatz, der mir nothwendig war; durch sie lebte ich so lange glücklich, wie ich es nach dem Lauf der Ereignisse nur irgend sein konnte.
Anfangs beabsichtigte ich, ihren Geist zu bilden: meine Mühe war verloren. Ihr Geist ist, wie ihn die Natur gemacht hat; Bildung und Pflege wurden ihm nie zu Theil. Ich erröthe nicht, es offen zu bekennen, daß sie es nie zum geläufigen
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