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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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es doch wenigstens genügend, um großentheils die Wirkung der guten Grundsätze zu beeinträchtigen, die ich mich ihr beizubringen bemühte, war genügend, daß wir, wie ich es auch anfangen mochte, nach wie vor stets zwei geblieben sind.
    Auf diese Weise wurde bei einer aufrichtigen und gegenseitigen Neigung, in die ich die ganze Zärtlichkeit meines Herzens gelegt hatte, die Leere dieses Herzens doch nie ganz ausgefüllt. Kinder, durch welche es geschehen wäre, kamen; es wurde noch schlimmer. Ich schauderte, sie dieser schlecht erzogenen Familie zu überlassen, um noch schlechter erzogen zu werden. Die Gefahren der Erziehung, welche Findlingen zu Theil wurde, waren weit geringer. Obgleich dieser Grund zu dem von mir gefaßten Entschlüsse stärker war als alle, welche ich in meinem Briefe an Frau von Francueil aufführte, so war er doch der einzige, den ich ihr nicht zu nennen wagte. Lieber wollte ich mich einer so schweren Anschuldigung gegenüber nicht ganz rechtfertigen, um die Familie einer Person, die ich liebte, zu schonen. Aber nach dem Wandel ihres unglücklichen Bruders kann man urtheilen, ob ich, was man auch darüber sagen könnte, meine Kinder dem aussetzen durfte, eine der seinigen ähnliche Erziehung zu erhalten.
    Da ich diese innige Herzensfreundschaft, deren Bedürfnis ich fühlte, nicht in ihrer ganzen Fülle finden konnte, so suchte ich einen Ersatz, der die Lücke, wenn auch nicht auszufüllen, aber mir doch weniger fühlbar zu machen vermochte. In Ermangelung eines Freundes, der ganz mein gewesen wäre, hatte ich Freunde nöthig, deren Antrieb meine Trägheit überwand. Deshalb behielt ich nicht nur mein altes freundschaftliches Verhältnis mit Diderot und dem Abbé von Condillac bei, sondern knüpfte es noch enger, schloß eine neue, noch innigere Freundschaft mit Grimm und fand mich schließlich durch jene leidige Abhandlung, deren Geschichte ich erzählt habe, ehe ich es dachte, in die Literatur zurückgeworfen, der ich auf immer den Rücken gekehrt zu haben glaubte.
    Die Veröffentlichung meines ersten Werkes ließ mich eine neue Bahn betreten und führte mich auf ihr in eine andere geistige Welt, deren einfachen und doch großartigen Bau ich nicht ohne Begeisterung betrachten konnte. Da ich mich beständig mit ihr beschäftigte, sah ich in der Lehre unserer Denker bald nur Irrthum und Thorheit, in unserer sozialen Ordnung nur Unterdrückung und Elend. In dem Wahne meines dummen Stolzes hielt ich mich dazu geschaffen, alle diese Trugbilder zu vernichten, und da ich meinte, daß ich, um mir Gehör zu verschaffen, meine Lebensweise mit meinen Grundsätzen in Übereinstimmung bringen müßte, nahm ich jenes seltsame Benehmen an, das man mir nicht beizubehalten gestattet hat. Meine sogenannten Freunde haben mir das damit gegebene Beispiel nie verzeihen können, allerdings ein Beispiel, das mich anfänglich lächerlich machte, mir aber am Ende Achtung verschafft hätte, wäre es mir möglich gewesen, dabei zu verharren.
    Bis dahin war ich gut gewesen; von nun an ward ich tugendhaft, oder wenigstens von der Tugend berauscht. Dieser Rausch hatte in meinem Kopfe seinen Anfang genommen, war aber dann in mein Herz übergegangen. Der edelste Stolz keimte auf den Trümmern der entwurzelten Eitelkeit. Ich spielte keine Rolle; ich war in Wirklichkeit, was ich schien, und während mindestens vier Jahre, in denen jener Gährungszustand in seiner vollen Kraft dauerte, wäre ich im Vertrauen auf den Himmel und auf mich, zu allem Großen und Schönen fähig gewesen, das in dem Menschenherzen eine Stätte finden kann. Darin lag die Quelle meiner plötzlichen Beredtsamkeir, daraus strömte in meine ersten Bücher jenes wahrhaft himmlische Feuer hinüber, das mich durchglühte und doch vierzig Jahre lang nicht den geringsten Funken gesprüht hatte, weil es noch nicht entzündet war.
    Ich war wirklich umgewandelt; meine Freunde, meine Bekannten erkannten mich nicht mehr wieder. Ich war nicht mehr jener schüchterne und eher verlegene als bescheidene Mensch, der sich weder zu benehmen wußte noch zu reden wagte, den ein muthwilliges Wort aus der Fassung brachte, dem der Blick einer Frau das Blut in die Wangen trieb. Kühn, stolz und unerschrocken, zeigte ich überall eine Sicherheit, die in ihrer Einfachheit um so fester war und mehr in meiner Seele als in meinem Aeußern lag. Die Verachtung, die mir mein tiefes Nachdenken gegen die Sitten, Grundsätze und Vorurtheile meines Jahrhunderts eingeflößt hatte,

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