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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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enthüllen werde, womit man mein Herz auf dem höchsten Punkte meines Elends zerrissen hat, ohne daß mir bis zu dem Augenblicke, da ich dies niederschreibe, gegen irgend jemanden auch nur ein einziges Wort der Klage entschlüpft wäre.
    Wenn man erfahren wird, daß ich, nachdem ich alles gethan, allem getrotzt hatte, um mich nicht von ihr zu trennen, nach fünfundzwanzig mit ihr verlebten Jahren, dem Schicksal und den Menschen zum Trotz sie endlich noch in meinen alten Tagen gegen ihre Hoffnung und ohne ihr Verlangen, und ohne meine Zusage oder Versprechen geheirathet habe, so wird man glauben, daß mich eine wahnsinnige Liebe, die mir schon am ersten Tage den Kopf verdreht, schrittweise bis zur letzten Thorheit geführt habe, und man wird es um so mehr glauben, wenn man die besonderen und entscheidenden Gründe vernimmt, welche mich hätten zurückhalten müssen, je dahin zu gelangen. Was wird demnach der Leser denken, wenn ich ihm mit all der Wahrhaftigkeit, die er jetzt an mir kennen muß, versichere, daß ich vom ersten Augenblicke an, da ich sie sah, bis zu dem heutigen Tage nie den geringsten Funken von Liebe für sie gefühlt habe, daß ich kein größeres Verlangen gehegt, sie zu besitzen als Frau von Warens und daß die sinnlichen Bedürfnisse, deren Befriedigung ich bei ihr fand, für mich einzig und allein die des Geschlechtstriebes waren, ohne mit der Person irgend etwas zu thun zu haben? Er wird denken, daß ich, anders organisirt wie andere Männer, unfähig war, Liebe zu empfinden, weil sie nicht in die Gefühle überging, die mich an die mir theuersten Frauen fesselten. Geduld, mein Leser! Der unselige Augenblick naht, wo du nur allzu sehr enttäuscht sein wirst.
    Man sieht, ich wiederhole mich, doch es ist nöthig. Das erste, das größte, das stärkste, das unauslöschlichste aller meiner Bedürfnisse erfüllte ganz und gar mein Herz: es war das Bedürfnis eines innigen Anschlusses, so innig, wie er irgend sein konnte. Deshalb bedurfte ich eher einer Frau als eines Mannes, eher einer Freundin als eines Freundes. Dieses eigenthümliche Bedürfnis war so gewaltig, daß es die engste leibliche Verbindung noch nicht zu befriedigen vermochte; ich hätte zwei Seelen in demselben Leibe nöthig gehabt; ohne dies fühlte ich stets eine Leere. Damals glaubte ich sie nicht mehr zu fühlen. Diese junge, durch tausend treffliche Eigenschaften und zu jener Zeit sogar durch ihr Aeußeres liebenswürdige Person, völlig ungekünstelt und ohne alle Koketterie, würde allein mein ganzes Dasein ausgefüllt haben, hätte ich, wie ich gehofft, das ihrige auszufüllen vermocht. Von Seiten der Männer hatte ich nichts zu fürchten; ich bin überzeugt, der einzige zu sein, den sie wahrhaft geliebt hat, und ihre nicht sehr rege Sinnlichkeit hat schwerlich Verlangen nach andern gehabt, selbst als ich bereits aufgehört, in dieser Beziehung für sie ein Mann zu sein. Ich hatte keine Familie, sie dagegen hatte eine, und diese Familie, deren sämmtliche Charaktere zu sehr von dem ihrigen abwichen, zeigte sich nicht der Art, daß ich sie hätte zu der meinigen machen können. Darin lag die erste Ursache meines Unglücks. Was würde ich nicht darum gegeben haben, ihre Mutter als die meinige betrachten zu können! Ich that alles, um dahin zu gelangen und konnte dennoch nicht zum Ziele kommen. Vergeblich hatte ich den Wunsch, alle unsere Interessen zu vereinigen, es war mir unmöglich. Sie verfolgte stets ein anderes, dem meinigen und sogar dem ihrer Tochter entgegengesetztes, das von dem meinigen ja bereits unzertrennlich war. Sie und ihre anderen Kinder und Enkel wurden eben so viele Blutegel, deren geringstes Unrecht, welches sie Therese zufügten, darin bestand, daß sie sie bestahlen. Das arme Mädchen, gewöhnt sich selbst vor ihren Nichten zu beugen, ließ sich, ohne ein Wort zu sagen, ausplündern und beherrschen, und mit Schmerz sah ich, daß ich mein Geld und meine Lehren vergebens verschwendete, da ich damit nichts bei ihr erreichte. Ich suchte sie von ihrer Mutter zu trennen; sie widerstand dem beständig. Ich achtete ihren Widerstand und schätzte sie um so mehr; allein ihre Weigerung gereichte ihr und mir darum nicht weniger zum Nachtheile. Ihrer Mutter und den Ihrigen hingegeben, gehörte sie ihnen mehr als mir, ja mehr als sich selbst. Die Habgier derselben war ihr weniger verderblich als ihre Nachschlage. Wenn sie auch Dank ihrer Liebe zu mir und Dank ihrem guten Charakter nicht vollkommen unterjocht wurde, so war

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