Rousseau's Bekenntnisse
Gewinn die Frauen, wie man glaubte, in Versuchung führen mußte. Man hatte ihnen vorgestellt, daß ich außer Stande wäre, etwas für sie zu thun, und sie mir sogar ein Hemmnis wären, mich emporzuschwingen. Da ich in dem allen nur eine gute Absicht erblickte, so zürnte ich ihnen nicht zu sehr. Nur die Heimlichkeit setzte mich in Harnisch, namentlich von Seiten der Alten, die noch dazu von Tage zu Tage katzenfreundlicher und schmeichlerischer gegen mich wurde, was sie nicht abhielt, ihrer Tochter unaufhörlich im Geheimen vorzuwerfen, daß sie mich zu sehr liebte, mir alles sagte, ein Dummkopf wäre und von mir nur hintergangen werden würde.
Diese Frau besaß im höchsten Grade die Kunst, aus einem Sacke zehnerlei Mehlarten zu holen, dem Einen zu verheimlichen, was sie vom andern erhielt, und mir, was sie von allen annahm. Ihre Habgier würde ich ihr haben verzeihen können, aber ihre Verstellung konnte ich ihr nicht verzeihen. Was konnte sie mir zu verheimlichen haben, mir, der ich, wie sie recht wohl wußte, mein Glück fast allein in dem ihrer Tochter und in ihrem eigenen suchte? Was ich für ihre Tochter gethan, hatte ich für mich gethan; aber was ich für sie gethan, verdiente von ihrer Seite einige Dankbarkeit; ihrer Tochter hätte sie wenigstens Dank wissen und aus Liebe zu ihr, die mich liebte, mich ebenfalls lieben müssen. Ich hatte sie dem vollkommensten Elend entrissen, von mir erhielt sie ihren Unterhalt, mir verdankte sie alle jene Bekanntschaften, aus denen sie so großen Nutzen zog. Lange hatte Therese sie mit ihrer Arbeit ernährt und ernährte sie jetzt mit meinem Brote. Sie erhielt alles von dieser Tochter, für die sie nichts gethan hatte, und ihre andren Kinder, die sie ausgestattet, für die sie sich zu Grunde gerichtet hatte, trugen nicht allein nichts zu ihrem Unterhalte bei, sondern zehrten noch den ihrigen, wie den meinigen auf. Meines Bedünkens mußte sie mich in einer solchen Lage als ihren einzigen Freund, ihren sichersten Beschützer betrachten und, anstatt mir ein Geheimnis aus meinen eigenen Angelegenheiten zu machen, anstatt sich gegen mich in meinem eigenen Hause zu verschwören, mich getreu von allem, was mich betraf, in Kenntnis setzen, wenn sie es früher erfuhr als ich. Mit welchem Auge konnte ich also ihre falsche und geheimnisvolle Aufführung ansehen? Was mußte ich vor allem von den Gesinnungen denken, die sie sich ihrer Tochter einzuflößen bemühte? Wie entsetzlich mußte ihre Undankbarkeit sein, wenn sie solche in ihr zu nähren suchte? Alle diese Betrachtungen entfremdeten dieser Frau mein Herz in dem Grade, daß ich sie nicht mehr ohne Verachtung ansehen konnte. Trotzdem hörte ich nie auf, die Mutter meiner Lebensgefährtin mit Achtung zu behandeln und ihr in allen Dingen fast die Rücksichten und die Hochachtung eines Sohnes zu erweisen; aber ich war allerdings nicht gern lange mit ihr zusammen, und es fällt mir schwer, mir Zwang aufzuerlegen.
Es ist hier wieder einer jener kurzen Augenblicke meines Lebens, in dem ich das Glück ganz nahe sah, ohne es erreichen zu können, und ohne daß ich die Schuld daran hatte. Bei einem guten Charakter dieser Frau wären wir alle drei bis an das Ende unserer Tage glücklich und der zuletzt am Leben bleibende wäre allein zu beklagen gewesen. Statt dessen soll der Leser, wenn er den Verlauf der Dinge erfährt, selbst urtheilen, ob es in meiner Macht gelegen hätte, ihn zu ändern.
Als Frau Le Vasseur bemerkte, daß ich Boden im Herzen ihrer Tochter gewonnen und sie verloren hatte, bemühte sie sich, ihn wiederzugewinnen; statt sich mir aber durch jene wieder anzuschließen, versuchte sie, mir dieselbe völlig zu entfremden. Eines der Mittel, welches sie anwandte, war, ihre Familie zu Hilfe zu rufen. Ich hatte Therese gebeten, kein Glied derselben nach der Eremitage kommen zu lassen; sie versprach es mir. Ohne sie zu fragen, ließ man in meiner Abwesenheit sämmtliche kommen und nahm ihr darauf das Versprechen ab, mir nichts davon zu sagen. Nachdem der erste Schritt geschehen, war alles Uebrige leicht. Wenn man dem, welchen man liebt, einmal aus irgend etwas ein Geheimnis gemacht hat, so trägt man bald kein Bedenken mehr, es ihm aus allem zu machen. Sobald ich auf der Chevrette war, wimmelte die Eremitage von Leuten, die es sich dort ganz wohl sein ließen. Eine Mutter hat auf eine gutmüthige Tochter stets großen Einfluß; wie es indessen die Alte auch anstellen mochte, so gelang es ihr doch nie, Therese zu einem
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