Roxelane
sechzig —, und sie war die schöne und gebietende Frau geblieben, als die Roxelane sie gekannt hatte.
Nichts verriet Roxelane, wie schwer es der weißhaarigen Dame geworden war, allen Anstrengungen des Kleidens und Schminkens zu trotzen. Nur ihren Stock, von dem Hafsa Chatun sich seit ihrem Schlaganfall nicht mehr trennte, hielt sie auch jetzt in der Hand. Aber dieser Stock war eher ein Zepter als eine Stütze.
Einzig und allein die forschenden Augen der Greisin sprachen. Sonst herrschte Schweigen.
Bis dann die Walide endlich begann.
„Wie lange ist es her, daß ich Sie nicht mehr sah?“
„Elf Jahre, Eure kaiserliche Hoheit.“
„Sie sind hübscher geworden, aber schön werden Sie nie sein.“ Roxelane neigte in Zustimmung ihr Haupt.
Hafsa stieß ihren Stock auf den Boden.
„Sie taten übel daran, diesen Ibrahim zu begünstigen. Gegen mich zu begünstigen!“
„Kaiserliche Hoheit vergessen meine damalige Lage“, verteidigte sich Roxelane bescheiden. „Wenn Achmed Pascha, wie Sie es wünschten, Großwesir und Prinzessin Esmas Gemahl geworden wäre, dann hätte er auf Sie hören müssen. Denn Soliman - ich meine der Kai-ser“, verbesserte sie sich, „war dein Pascha nicht geneigt, und so wäre Achmeds Stellung ohne Eurer Hoheit Unterstützung nur schwach
gewesen.“
„Dachten Sie nie daran, daß es Ihnen gelingen könnte, Achmed Pascha zu sich hinüberzuziehen?“ spöttelte die Walide.
„Ich hatte keine Brücke zu ihm“, stellte Roxelane einfach fest, „Sie aber hatten Ihre Tochter.“
„Esma?!“ grollte es aus dem Sessel. „Esma, die mich dann verriet? Auch daran sind Sie schuld, meine Liebe!“
Doch Roxelane blieb standhaft: „Mir blieb keine Wahl. Ich mußte an meine Söhne denken.“
„Daran dachten Sie damals schon? Sie hatten doch noch gar keine! - Aber es ist gut“, unterbrach sich die Walide, „jede Herrscherin muß auf das Künftige schauen, auch wenn es noch gar nicht geboren ist.“
„Jede Frau muß es tun“, warf Roxelane ein, was ihr einen scharfen Blick von der alten Dame eintrug.
„Meinetwegen jede Frau“, gab Hafsa dann zu, um sich hinterher auch sogleich schon zu ärgern. „Obwohl ich wissen möchte“, meinte sie noch, „wie viele von unseren Gänsen hier am Hof, meine eigenen Töchter eingeschlossen, danach handeln.“
Diese Offenherzigkeit war Roxelanes erster Gewinn. Allerdings war ihre Freude darüber nur kurz.
„Sie aber sind nicht viel besser!“ fuhr Hafsa Chatun nämlich fort. „Sie machen den Kaiser zum Gespött! Verse machen die Dichter schon über ihn und über Sie! Es ist ja auch nur zu wahr, daß Soliman seit seiner Verbindung mit Ihnen keine andere Frau mehr besucht hat.“ Bei diesen Worten jedoch fiel jede Gefügigkeit von Roxelane ab. „Das soll er auch nicht!“ fuhr sie auf. „Nie werde ich das dulden!“ Ihre Augen funkelten vor Zorn.
„Ein Kaiser darf kein Weiberknecht sein“, sagte Hafsa streng. „Er muß sein, wie das Volk ihn sich vorstellt und wie es ihn haben will.“ „War der hochselige Kaiser Selim ein Weiberknecht?“ widersprach Roxelane. „Eure Hoheit haben ihm auch keine anderen Frauen erlaubt.“
Hafsa Chatun mußte lächeln.
Es geschah nicht ohne Selbstgefälligkeit, und sogar ein kleines Wohlgefallen an Roxelane begann mitzuschwingen.
„Und nun meinen Sie“, lächelte die Walide, „mein Sohn habe in dieser Hinsicht seinem Vater zu ähneln? Er gleicht ihm doch in so vielem anderen nicht. Aber es ist wahr: schon Osman selbst diente um die Priestertochter Malchatun mehrere Jahre, und so fing es bereits bös an. Und Bajesid Jilderim war in die serbische Königstochter ebenso verliebt wie Murad der Zweite in seine Prinzessin von Kastemuni. Es scheint also, als gebe es unter den Nachkommen Osmans immer Männer, die darauf versessen seien, einer einzigen Frau die Treue zu halten. Zuletzt kommt das wohl auf die Frau an. Doch sind Sie eine solche Frau, meine Liebe, daß Sie zur einzigen Frau eines Kaisers taugen? Haben Sie nicht vielmehr diesem windigen Griechen Vorschub geleistet? Wem haben Sie dabei nun mehr vertraut: meiner Tochter Esma, die noch in zwanzig Jahren nichts als ein ewig verliebter Backfisch sein wird, oder Ibrahim Pascha, der Ihnen, seiner Gönnerin, bei der ersten Gelegenheit in den Rücken fiel?“
Wie sehr hatte die Walide doch recht, und wie sehr schämte sich Roxelane, daß es so war!
„Ich glaubte an seine Vernunft“, murmelte sie, „und ich begreife ihn immer noch nicht. .
„Ich
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