Roxelane
besitzlos und sein Almosen als das Almosen des Herrn.
Die wohlvorbereitete Mirmah aber fügte noch von sich aus die Koranworte hinzu: „Und diejenigen von denen, die eure Rechte besitzt, und die einen Freibrief begehren - schreibt ihn ihnen, wenn ihr Gutes in ihnen wisset, und gebt ihnen von Allahs Gut, das er euch gegeben.“
Dabei wäre dies Zitat gar nicht mehr nötig gewesen. Soliman hörte auch nur noch aus Achtung vor seiner klugen und frommen Tochter zu. „Preis dir, daß du mir die Augen öffnest“, sagte er zu ihr, als sie geendet hatte. „Nach meinem Willen soll deine Mutter nicht länger die Freuden des Gebens entbehren, nach denen es sie so verlangt.“ „Ihre kaiserliche Hoheit, meine Mutter, verlangt nichts“, erklärte Mirmah aber fast erschrocken. „Ich bin es, ich allein, die Eure Majestät um den Freibrief bittet.“
Denn in plötzlicher Eingebung kam ihr die Erkenntnis, wie wenig die Persönlichkeit Roxelanes in Wirklichkeit von einem Stück Papier abhänge, dem sie, die Tochter, solche Bedeutung beimaß.
Soliman merkte es und lächelte.
„Wenn deine Mutter die Urkunde nicht verlangt“, sagte er, „dann verlange ich sie für sie. Ich begehre, daß Churrem Sultana auch dem Gesetz nach so frei sei, wie sie es immer war.“
Die Befehle wurden gegeben.
Mit den grünen und goldenen Buchstaben eines hohen Fermans sollte der Freibrief geschrieben und der vergoldete Namenszug des Sultans ihm vorangesetzt werden. Nur durch solche Förmlichkeit glaubte Soliman einem Nichts, für das er das Dokument hielt, den Wert geben zu können, der es der Empfängerin würdig mache.
„In Ehrfurcht vor dem frommen Gemüt der erhabenen Frau, der Perle im Rosenkranz der Gebete, Churrem Sultana, haben Wir Uns in Unserm Herzen bewogen gefunden...“, sollte das Schriftstück beginnen.
Und nun, nachdem alles angeordnet worden war, erhob sich Soliman. „Ich denke, wir gehen jetzt zu ihr“, forderte er Mirmah auf.
Damit war die Zeremonie allerdings vorüber. Ins Köschk Hebetullah drang sie nur bei ganz besonderen Gelegenheiten.
Im allgemeinen zog Soliman es vor, sich zu seiner Frau mit kleinstem Aufwand und mit der Einfachheit und Selbstverständlichkeit eines guten Familienvaters zu begeben.
Roxelane aber zeigte sich erfreut. Sie lächelte und lachte wieder und war ganz wie in ihren besten Tagen, so daß ihre Heiterkeit von Solimans Seele alles Gewölk verscheuchte.
In der Nacht blieb er denn auch wieder bei ihr.
Dieser ernste, bärtige Fünfziger mit dem starken Willen, dem scharfen Verstand und einer unvergleichlichen Macht, die ein Teil seines Wesens und Seins geworden war, er, der Herr über Leben und Tod, der Umjubelte, Gefürchtete, Geliebte ... litt an sich selbst.
Und für ihn gab es nur einen Ort auf dieser weiten Welt, wo er nicht Kaiser, nicht klug, nicht gütig, nicht streng, wo er nichts zu sein brauchte und sich selbst entrinnen konnte - das war bei Roxelane. Auch heute entschlüpfte er in ihrer Umarmung der Haft seines eigenen Fleisches, verlor er sich an sie, die er liebte.
Gutes und Böses - alles nahm ihre Unergründlichkeit auf. Sein letztes Verlangen war ein wütendes Duseinwollen. - Dann war die Befreiung da. Und das geopferte Ich, getilgt und verzehrt, ließ nichts mehr zurück als einen seligen Hauch von Unsterblichkeit.
Immer länger wurden die Pausen der Sättigung, bis Soliman schließlich einschlief.
Als Roxelane dann endlich ihre Glieder von ihm löste - da erblickte sie in der Ermattung ihres Gatten nichts, was selbst zu einem liebevollen Spott Veranlassung gegeben hätte.
über sein Herz gebeugt, das noch soeben mit ihrem Herzen geschlagen hatte, lauschte sie auf seinen ruhigen und starken Atem, blickte sie zärtlich auf ihn, der sich wehrlos wie ein Kind ihrem Schutz anvertraute.
Lange horchte sie so, sah sie so, als höre und sehe sie alles zum letztenmal.
Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und ein unbändiger Schmerz ließ sie erzittern, als sie ihn küßte.
Wie zum Abschied küßte sie ihn.
Am nächsten Tage führten die Kiajai Harem und der Kislar den Kapu Aga und die Kammerpräsidenten des Serails bei Roxelane ein. Sie kamen, ihr den Freibrief zu bringen.
Roxelane ließ Soliman danken.
Aber von diesem Tage an verschloß sie ihm das Köschk Hebetullah.
42
Kaum einem Menschen fiel es ein, etwas anderes anzunehmen, als daß Roxelane bei Soliman in Ungnade gefallen sei. Denn sich das, was wirklich geschehen war, vorzustellen, überschritt bei weitem die
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