Roxelane
Denkkraft der vielen.
In der Form einer Verungnadung der kaiserlichen Favoritin gelangte die Nachricht denn auch in alle Hauptstädte Europas und Asiens, und so durchlief sie das ganze Reich.
Nun hatte man sich jedoch im Laufe der Jahre an den Gedanken , gewöhnt, daß die Neigung des Kaisers unwiderruflich feststehe. Die überraschende Neuigkeit verursachte daher geradezu eine Erschütterung, und die mannigfachsten Hoffnungen und Befürchtungen wurden wach.
Auf einmal spürte Sultan Selim in Konia Widerstände. Rustem Paschas Großwesirat galt als gefährdet, und man schrieb sein Verbleiben im Amt nur noch dem Einfluß von Solimans Tochter zu. Für ganz sicher aber sah man einen Wechsel in den Ämtern der Kiajai
Harem, des Kapu Aga, des Kadiasker von Rumili und sogar des Kapudan Pascha voraus.
Dennoch vergingen Tage und Wochen und wieder Wochen, ohne daß auch nur das geringste geschah.
Nicht einmal die Rückberufung Sultan Mustafas nach Magnesia erfolgte, obwohl ihm als dem einzigen Prinzen, der jetzt noch als Thronfolger in Frage zu kommen schien, die Statthalterschaft von Saruchan doch eigentlich zugestanden hätte.
Und diese Unschlüssigkeit sei ein Skandal, sagte der Tschorbadschi Baschi der Janitscharen in Amasia zu Schemsi Bey.
Tschorbadschi Baschi, oberster Suppenherr, war der Titel des Befehlshabers eines Janitscharen-Regiments. Denn diese erlesene Fußtruppe betrachtete sich insgesamt als eine einzige Familie, den Padischah als ihren Vater und die Offiziere als seine Vertreter für die einzelnen häuslichen Verrichtungen.
Und dieser enge Zusammenhalt bestand nicht nur dem Namen nach! Mochte einem Janitscharen in der äußersten Provinz ein Unrecht geschehen sein - es wurde von allen seinen Kameraden in Konstantinopel und in sämtlichen Reichsteilen so empfunden, als sei die Schmach ihnen selbst widerfahren. Und galt es eine Stellungnahme, so gab es wieder für alle nur eine einzige Meinung.
Aus diesem Grund lieh Schemsi auch dem alten Rauhbein so geduldig sein Ohr, obwohl er nicht erwartete, viel Neues zu hören.
„Es ist ein Skandal!“ wiederholte der Tschorbadschi Baschi. „Sultan Mustafa ist unser Schahzadey. Kann es da überhaupt noch eine Frage geben?!“
Die beiden Männer saßen im Nebengelaß einer Weinkneipe.
So leidenschaftliche Anhänger des Islams die Janitscharen sonst auch waren - in einem verstanden sie keinen Spaß: Ihren Wein mußten sie haben! Und gab es irgendwo keine Kneipen, so machten sie selbst welche auf.
Schemsi hatte ebenfalls nichts gegen den Wein. Er war zwar kein großer Trinker; aber er ließ ungern eine Gelegenheit zur Übertretung eines Verbots vorübergehen, welches es auch immer sein mochte.
Jetzt trank Schemsi seinen Wein.
„Und Selim?“ ließ er nachlässig dabei fallen.
„Wir wollen ihn nicht“, knurrte der Suppenherr.
„Welche wir?“ erkundigte sich Schemsi.
„Wir alle!“
„Alle in Amasia?“
„Nein doch!“ ärgerte sich der andere. „Alle! Die in Stambul wollen den Selim grad so wenig wie wir. Wir sind für Mustafa.“
Der Tschorbadschi Baschi saß nur in der Kappe da, die er unter seiner Kuka trug, um den Helm jederzeit, ohne den Anstand zu verletzen, abnehmen zu können. Die Brokatschärpe, das andere Zeichen seines Ranges, lag irgendwo, seinen blauen Uniformrock mit den blanken Knöpfen hatte er geöffnet, die Beine in den ebenso blauen Pluderhosen weit von sich gespreizt.
Der Tapfere war schon ein wenig vom Wein erweicht, sonst würde er sich wohl auch nicht so offenherzig ausgelassen haben.
Es war aber nicht das erstemal, daß Schemsi ähnliches hörte, und so gab es ihm doch zu denken.
Wenn Soliman nicht eindeutig handle, meinte er bei sich, so sei Mustafa in Wirklichkeit Schahzadey. Und vielleicht wolle der Kaiser das auch. Doch dann solle er es sagen und seinen Ältesten wieder nach Magnesia versetzen. Weil es sonst kommen könne, daß man Mustafa über Nacht nicht nur zum Schahzadey, sondern gleich zum Padischah ausrufe!
Unter diesen Umständen und im Hinblick auf Roxelanes Ungnade hielt Schemsi es für geraten, sich beiden Parteien zu empfehlen, wenn er bis jetzt auch nur soviel wußte, daß er Sultan Dschihangir zur Hauptstadt zurückbegleiten werde.
Der Befehl zur Abreise war schon da.
Saffieje Sultana hatte ihren Sohn zu sich entboten, und beide waren allein.
Was hier zu sprechen war, duldete keinen Zeugen.
„Wozu hast du dich entschlossen?“ fragte Saffieje.
Mustafa öffnete die Hände, als erwarte er eine
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