Roxelane
Mensch, eine Frau, seine Frau, nicht mehr da war, seine Frau, deren Stimme ihm vertrauter als die eigene, deren Haut durch vieltausendfache Zärtlichkeiten mit seiner verwachsen war, deren Blick und Haar, deren Schreiten und Lachen er sich so zugehörig fühlte, daß er ohne sie sich selbst kaum noch denken konnte.
Durch wenige Mauern von ihm getrennt, atmete, lebte sie. Er stellte sich vor, was sie im Augenblick wohl tue - dachte sie sich schlafend, lesend, essend, sah, wie sie sich ankleidete oder wie sie badete, sich auszog oder mit Menschen sprach, die nicht entfernt das Anrecht auf sie hatten wie er.
Und doch waren die drei oder vier Höfe und Gänge, die zu durchmessen gewesen wären, um zu ihr zu gelangen, unüberwindlich! Für ihn waren sie es.
Nichts wußte er von dem, was sie sprach, fühlte und dachte — er wußte nur, daß er selbst unsagbar litt.
Ein Ganzes war auseinandergerissen. Er selbst war die eine Hälfte und blutete.
Roxelane war unerreichbar geworden für Soliman.
Der Mufti führte gerade aus, daß Seine Majestät die Herren zusammengerufen habe, um sich über zwei Fragen zu äußern.
Die erste laute, ob es einem freien Mann erlaubt sei, seiner Sklavin beizuwohnen. Und wenn sich eine Sünde daraus ergebe — wem diese Sünde dann zugehöre: dem Mann oder der Frau oder beiden? Soliman wand sich vor Ungeduld und mußte doch stillsitzen und die langen gelehrten Erörterungen anhören, die schließlich darin gipfelten, daß in der zweiten Sure gesagt sei: ,Und wer von euch nicht vermögend genug ist, gläubige, freie Frauen zu heiraten, der heirate von den gläubigen Sklavinnen, die seine Rechte besitzt.' Daraus gehe hervor, daß der Prophet die Ehe vorzüglich empfehle, auch die Ehe mit einer Sklavin. Doch trotzdem auch noch an anderer Stelle verboten sei, eine Sklavin gegen deren Willen zur Hurerei zu zwingen, so sei doch wiederum auch geboten: ,Die Männer sollen sich genügen lassen an ihren Frauen und an denen, die unter ihrer Rechten sind.“ Somit sei es weder für den Mann noch die Frau eine Sünde, wenn der Herr, ohne Zwang zu üben, seiner Magd Reize genieße.
Die erste Frage war damit beantwortet.
Sie war jedoch nur gestellt worden, um die zweite aufwerfen zu können, und an der zweiten hing Solimans Herz.
„Ist es erlaubt, daß ein freier Mann einer Freien ohne Verehelichung beiwohne, wenn beide guten Willens sind, das Gesetz zu beachten und auch schon Kinder im Stande der Schuldlosigkeit gezeugt haben?“ Würden diese Männer, die doch wußten, wer gemeint war und worauf es ankam, einen Weg finden?
Vom Mufti erwartete Soliman nicht viel, auch vom Chodscha nicht und eigentlich nur von Ebusuud Effendi, dem Kadiasker von Rumili, dem Vertrauten seiner verstorbenen Mutter und jetzt seiner Tochter Mirmah und Roxelanes.
Ebusuud war der jüngste der Anwesenden. Kein Silber war in seinem braunschwarzen Bart; aber die Chorasani, der runde Wulstturban der Geistlichen, bekrönte ein kluges Gesicht.
Mit Groll erblickte es Soliman.
Ebusuud hatte für Roxelane das Fetwa gefunden, das der Ausgangspunkt dieser ganzen Irrung gewesen war. Ohne jenes Fetwa hätte Roxelane niemals den Freibrief verlangen können, und ohne den Freibrief hätte sich nichts zwischen ihr und Soliman jemals geändert. Von einer gefährlichen Dialektik war die Begründung des Fetwas gewesen, und Solimans Verstand war scharf genug, um zu erkennen, daß mit ähnlichen Gründen auch das Gegenteil zu beweisen gewesen wäre.
Aber er wußte auch, daß Ebusuuds Autorität zu groß war, als daß jemand dessen Fetwa umgestoßen hätte.
Und dann war Soliman damals auch viel zu froh gewesen, Roxelane einen Wunsch erfüllen zu können, so daß ihm der theologische Anlaß gar nichts bedeutet hatte.
Jetzt freilich erwies es sich, daß sein menschliches Glück darüber zu Fall gekommen war.
Wer das Glück jedoch fällte, der konnte es auch wieder aufrichten. Und das war Ebusuud.
Soliman hatte Mühe, sein Zittern zu verbergen, das ihn vor Verhaltenheit befiel. Seine Hoffnung verdrängte den Groll. Nur solle man ihn nicht länger martern, nur solle Ebusuud sprechen, drängten seine Gedanken, schnell das erlösende, befreiende Wort sprechen, das Roxelane wieder in seine, Solimans, Arme zurückführe!
Doch Ebusuud sprach nicht.
Und wenn ihn eine Vereinigung aller Blicke traf, nickte er nur.
Zu allem nickte er.
Die andern indessen fanden, allein gelassen, kein Ende. Wohl wußten sie, was Soliman von ihnen erwartete. Aber
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